Deutschland

Brigitte Janson. Winterapfelgarten (2014)

Claudia verliert mit Anfang 50 ihren Job in einer Hamburger Parfümerie. Ihr Alter könne den Kundinnen nicht mehr zugemutet werden. Ihre Tochter Jule verkriecht sich nach einem schweren Unfall deprimiert in ihrer Wohnung. Und Claudias beste Freundin Sara weiß nicht erst seit ihrer Scheidung nichts mit sich und ihrer Zeit anzufangen. Die drei Frauen landen wegen eines Apfels auf einem heruntergekommenen Hof im Alten Land – wo sich ihrer aller Leben natürlich zum Besseren wendet.

Der Roman beginnt mit Claudias Kündigung und ihrem Schock, denn schließlich ist sie zwar 51, hat sich aber immer perfekt gepflegt, ist mit eiserner Disziplin auf Dauer-Diät und hat tatsächlich für ihre Arbeit in der Parfümerie gelebt. Ein paar Wochen später allerdings ist die eitle, oberflächliche Frau verschwunden und ein völlig anderer Mensch fährt ins Alte Land, um dort einen Hof zu suchen. Eine interessante Entwicklung – wenn sie denn im Roman dargestellt wäre. Leider macht die Geschichte hier einfach einen Sprung.

Tochter Jule

Auch die verweifelte Jule, die sich anfangs in Depressionen versteckt, erlebt eine Art Wunderheilung: kaum von ihrer Mutter auf den Apfelhof geschleppt, setzt eine wundersame Wandlung ein. Jule sieht sich schon nach fünf Minuten als aufopferungsvolle Tierpflegerin. Und nach zehn Minuten hat sie im knurrigen Nachbar Johann den lange vermissten Vaterersatz gefunden.

Freundin Sara

Sara bringt im Dorf sofort alle Frauen gegen sich auf, weil sie aggressiv mit jedem Mann flirtet, der ihr über den Weg läuft. Zufällig entdeckt sie ihren erlernten Beruf als Hebamme wieder – und obwohl sie lange aus dem Beruf ist, gibt es keinerlei Probleme. Sara kommt zu der weisen Erkenntnis, dass sie ihre Berufung zu lange ignoriert hat und sie das wohl auch ihre Ehe gekostet hat.

Landleben

Auf dem Apfelhof Kämpfen die drei Frauen mit den vielfältigen Renovierungen, mit feindseligen Dorfbewohnern, dem unzugänglichen Nachbar, dem Wetter … aber all das bleibt leider recht oberflächlich. Die Autorin gewährt den LeserInnen nur ganz kurze Einblicke in das Innere der Frauen, vereinzelte Spots, mal kurz hier, dann kurz dort, dazwischen nicht beschriebene (teilweise wesentliche) Fortschritte und Entwicklungen. Das ist schade. Nachdem man die Frauen in den ersten beiden Kapiteln gut kennengelernt hatte, hätte man sich als Leserin mehr Nähe gewünscht.

Weise Frau

Als Seniorin Elisabeth auf dem Apfelhof strandet, belebt sie nicht nur die Küche, sondern sie wird schnell zum Zentrum des Zusammenlebens, zum waremn Mittelpunkt einer echten Gemeinschaft. Mehr oder weniger schubst Elisabeth die Frauen zu ihren Bestimmungen und zu den Männern, die natürlich längst im Hintergrund warten. Eine liebevolle, allwissende Mutterfigur.

Hauptrollen

Alle Frauenfiguren werden sorgfältig eingeführt, man scheint sie gut kennenzulernen, sie sind sympathisch. Als Leserin will man wissen, wie es ihnen weiter ergeht. Leider wird das im Mittelteil nicht mehr so deutlich, hier übernehmen das Alte Land und der Apfelhof die Hauptrollen. Klischees von verfallenen Höfen, vom Landleben und von Dorfbewohnern stehen im Vordergrund. Die Männer sind bis auf den knurrigen Nachbarn, dessen Charakterisierung sich darauf beschränkt,  gleich ganz durchsichtig. Doch gut zu lesen ist das immer noch, unterhaltsam auf jeden Fall.

Happy End

Unterhaltsam ist auch noch der letzte Teil des Romans. Der Weg zum Happy End allerdings … die Klischees häufen sich, der Kitsch schleicht sich ein. (Ein Finale an Heiligabend kann man eigentlich nur um die Weihnachtszeit lesen.) Auf einmal findet jede der drei Frauen ihren Traummann, Hindernisse werden im Schlaf überwunden – oder vom Schnee zugedeckt oder im Weihnachtskitsch erstickt. Der knurrige Nachbar kämpft natürlich mit einem alten Trauma und ist eigentlich der Traumprinz schlechthin – das alles ist ein bisschen viel.

Nette Unterhaltung mit ernsteren Ansätzen

Insgesamt ist der Roman sehr unterhaltsam, psychologische Einblicke sind aber nicht seine Stärke, auch wenn die Autorin das gelegentlich versucht zu haben scheint. Das Happy End ist schrecklich vorhersehbar, aber Kitsch und Klischees sind wenigstens meistens ein bisschen variiert. Winterapfelgarten ist in meinen Augen nette Unterhaltung, mit gelegentlich wirklich guten Ansätzen. Der Roman ist eindeutig eine Weiterentwicklung von Autorin Brigitte Kanitz, von der ich schon wesentlich Seichteres gelesen habe. Doch wie heißt es immer: Da ist noch Luft nach oben.

Brigitte Janson. Winterapfelgarten. Berlin: List/Ullstein, 2014.

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