Deutschland, Literatur

Kristine Bilkau. Die Glücklichen (2015)

Isabell und Georg, Cellistin und Redakteur, gehören zu den Privilegierten: nach dem Studium Anstellungen, eine große Altbauwohnung, Bio-Kost und Hotel-Aufenthalte. Die Sicherheit bekommt erste Risse, als Isabell nicht mehr spielen kann und sich krankschreiben lässt. Georg verliert seine Stelle als Redakteur einer Zeitung. Die Ängste treiben das Paar auseinander.

Selten habe ich ein Buch angefangen, über das ich schon vorher so viele Lobeshymnen gelesen habe. Angst, enttäuscht zu werden oder davor, die Hochachtung nicht teilen zu können. Kann man einen Roman dann noch unbefangen lesen? Wird nicht die eigene Meinung unwillkürlich geprägt von den Meinungen der anderen? Und wie kann bei einem wirklich guten Roman eine Buchbesprechung diesem gerecht werden? Bei der Lektüre von Die Glücklichen beschäftigten mich diese Fragen so sehr, dass der Roman selber fast in den Hintergrund rückte.

Ruhige Sprache, sachliche Beobachtung

Beeinflusst wird die Meinung des Lesers sicher auch von der vorherigen Lektüre. Und nach dem sprachlichen Strudel einer Birgit Vanderbeke kam mir die Sprache Bilkaus zuerst fast langweilig vor. “Normale” Sätze, sachlich, gleichmäßig und ruhig, und dann überraschend mit originellen Bildern und Vergleichen, mit besonders treffenden Formulierungen für Ereignisse oder Gefühle, die wir zwar alle kennen, aber so noch nicht gesehen, geschweige denn formuliert haben.

Generation Y

Auch dieser Roman erhielt in Besprechungen das Attribut “Roman der Generation Y” – scheinbar eine Auszeichnung, der ich aber nichts abgewinnen kann. Denn auch hier ist die Geschichte auf keine Generation beschränkt, auch wenn die Protagonisten Ende 30 sind und damit zufällig besagter Generation angehören. Das Anspruchsdenken und der Wunsch nach Sicherheit, nach der Wahrung eines Scheins sind bei Vertretern verschiedenster Generationen zu finden, wenn sich auch vermutlich die Ansprüche nicht notwendigerweise im Kauf von Bio-Produkten manifestieren.

Luxusprobleme

Die Geschichte von (drohender) Arbeitslosigkeit und (drohenden) Geldsorgen ist eigentlich banal, eher sogar durch den gesellschaftlichen Status des Paares in einem geschützten Raum angelegt. Hungern muss hier niemand, die Angst davor, die scheinbar riesige Altbauwohnung aufgeben zu müssen, ist ein Luxusproblem.

Ängste beherrschen das Leben

Interessant wird die Geschichte von Isabell und Georg durch den intensiven Blick Bilkaus in die Ängste der beiden. Jeder trägt seine Sorgen mit sich herum, leugnet sie, versucht sie zu ignorieren bis sie unübersehbar sind. Die veränderte Sichtweise auf den eigenen Alltag ändert auch die Gefühle, beeinflusst alle Gedanken. Das Verhalten wird dem Partner unbegreiflich bis unerträglich, bis hin zu einem Punkt, an dem eine Trennung der unausweichliche nächste Schritt scheint. Dass Isabell und Georg das Ruder herumreißen können, wieder zueinander und zu einem Glück in der Unsicherheit und der Arbeitslosigkeit finden, ist zwar höchst unrealistisch, aber sicher unser (und der Autorin) Traum. Wie genau diese Entwicklung allerdings zu erreichen ist, kann auch der Roman nicht vermitteln.

Im Zeitgeist der aktuellen Literatur-lesenden Elite

In die vielen Lobeshymnen, die ich gelesen habe, kann ich also nicht ganz einstimmen. Sicher ist Die Glücklichen ein literarisches Werk, aber wahrscheinlich eher eine Zeiterscheinung. Wie Kristine Bilkau mit kühlem, ruhigen Blick in das Innere der Menschen schaut, nüchtern Verhalten und Gedanken wiedergibt, sodass man als Leser einen tiefen Einblick bekommt in das Leben dieser beiden Menschen – das ist wirklich sehr gut. Inhaltlich allerdings betrauern diese beiden viel zu sehr den Verlust von Privilegien (und deren Anschein), die die meisten Menschen auch mit Arbeit gar nicht haben. So bleibt der Roman ein Stück Literatur, das exakt auf seine Zielgruppe zugeschnitten ist: Akademiker mit ersten beruflichen Erfolgen, die vermutlich auch die Mehrheit der Leser von Literatur ausmachen.

Kristine Bilkau. Die Glücklichen. München: Luchterhand, 2015.

Und was meinst du dazu?