England, Guernsey, Unterhaltung

Shaffer / Barrows. Deine Juliet (2008)

Ein Briefroman, der in der Zeit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg spielt? Der die Kriegsgräuel auf einer Kanalinsel zum Thema hat, die kaum jemand kennt? Ist uns das heute nicht alles viel zu weit weg, viel zu fremd? Kann das funktionieren? Erstaunlicherweise funktioniert es sehr gut, so gut, dass der Roman jetzt sogar verfilmt wurde.

Juliet Ashton ist eine junge Schriftstellerin in London, die hofft, dass der Frieden endlich auch andere Themen für sie mit sich bringt. Zunächst aber muss sie noch auf Lesereise, denn Freund und Verleger Sidney Stark hat Juliets Kriegskolumnen gerade als Buch herausgebracht. Dabei legt sie sich mit einem dreisten Journalisten an und lernt den reichen Amerikaner Mark Reynolds kennen, der sie bald heiraten will.

The Guernsey Literary and Potato Peel Pie Society

Die eigenwillige Juliet will aber auf jeden Fall zuerst nach Guernsey und dort einige Brieffreunde kennenlernen. Denn der Bauer und jetzige Gelegenheitsarbeiter Dawsey Adams hatte ihr von Guernsey geschrieben, weil er dort ein Buch gefunden hat, in dem Juliets Name und Adresse standen. Dawsey berichtet ihr von seiner Liebe zum Schriftsteller Charles Lamb und von der „Guernsey Literary and Potato Peel Pie Society“. Den Buchklub haben er und einige seiner Guernseyer Freunde quasi in Notwehr gegen die deutschen Besatzer gegründet.

Erst die Recherche per Brief …

Juliet ist fasziniert von den unterschiedlichen Charakteren und ihren eigenwilligen literarischen Vorlieben. Sie lässt sich weitere Briefe auch von den anderen Mitgliedern der Society schicken und verarbeitet alles in einem großen Artikel für die Times (die scheinbar zu der Zeit großzügig bezahlt, denn Juliets Lebensunterhalt ist damit eine Weile gesichert).

… dann der Besuch

Diese Originale mit Herz will Juliet unbedingt auch persönlich kennenlernen, und so reist sie mit dem Postschiff nach Guernsey. Begeistert berichtet sie jetzt ihrem Verleger-Freund Sidney und seiner Schwester Sophie von den Menschen, die sie hier kennenlernt, von den Versammlungen des Buchclubs und vor allem von der kleinen Kit, einer Waise, die Juliet ins Herz schließt. Von Kits Mutter, Elizabeth, handeln viele der Geschichten aus der Zeit des Krieges, immer hat sie Mut und viel Charakterstärke bewiesen, was ihr allerdings zum Verhängnis wurde. Juliet beschließt – nicht ohne einen Schubser von Sidney -, Elizabeth in den Mittelpunkt eines Romans über die deutsche Besatzungszeit auf Guernsey zu stellen. Doch Juliet kommt nur langsam voran, denn Dawsey beherrscht ihre Gedanken und Gefühle.

Bezaubernd leicht

Auf wundersame Weise funktioniert diese Geschichte aus einer „fernen“ Zeit sogar als Briefroman für uns heute. Dass ich persönlich sie schon 2010 verschlungen habe (und gerade noch ein zweites Mal mit dem gleichen Vergnügen), besagt nicht viel: Ich liebe Guernsey und suche geradezu nach Büchern über die Insel und ganz besonders über die Zeit der deutschen Besatzung. Doch dass der Roman weithin begeistert, ist seinen Qualitäten geschuldet: Shaffer schuf hier wunderbar originelle Charaktere mit Herz, setzt der Literatur gleich mehrere Denkmäler, erzählt eine herrlich leichte, beschwingte Liebesgeschichte – und das alles vor einem so ernsten Hintergrund wie den Grausamkeiten in Krieg und KZ. Nichts wird hier verharmlost, aber für die Überlebenden geht das Leben weiter, faszinierend und wundervoll.

Zu gerne würde ich auch noch den Roman lesen, den Juliet über die mutige Elizabeth schreibt, wenn er so viel Charme hat, wie ihre Briefe. Schade, dass das nicht möglich ist … Aber vielleicht wird der Film ja ein Kassenschlager und Elizabeth das Thema der Fortsetzung?

Mary Ann Shaffer; Annie Barrows. Deine Juliet. Reinbek: Rowohl, 2008. | Original: The Guernsey Literary and Potatoe Peel Pie Society. New York: The Dial Press, 2008. Übersetzung Margarete Längsfeld und Martina Tichy.

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