England, Literatur

Kate Atkinson. Transcription (2018)

Mit 18 Jahren ist Julia Armstrong Waise und sucht einen Job. Man schreibt das Jahr 1940, der MI5 wirbt in London junge Frauen als Sekretärinnen an. Arbeit für das Vaterland, das vor Hitlers Krieg beschützt werden soll. Aber das große Ganze gerät aus dem Blick, das Abtippen abgehörter Unterhaltungen erweist sich als langweilig. Doch auf Julia wartet eine neue Aufgabe: Sie darf als Spionin arbeiten. Jetzt wird es doch sicher spannend?

1940, 1950, 1981 – auf diesen drei Zeitebenen wird die Geschichte von Julia erzählt.

1940

1940 stirbt ihre Mutter, einen Vater gab es nie, und Julia beginnt ihre Arbeit für die Regierung. Eine Wahl hat sie nicht, sie wird ausgewählt. Was sich wichtig anhörte, bedeutet erst einmal Registratur. Doch nach kurzer Zeit erscheint Peregrine Gibbons und holt Julia in sein Team. Es geht um das Ausspionieren der fünften Kolonne, aber wieder muss Julia an der Schreibmaschine bleiben und die in der Nachbarwohnung aufgenommenen Unterhaltungen abtippen. Bis ihr Einsatz als Spionin dann doch noch kommt – aber auch eher unspektakulär verläuft. Beinahe.

1950

1950arbeitet Julia bei der BBC und produziert den Schulfunk, eine eher langweilige Aufgabe, die ihr aber irgendwie entspricht, findet sie. Allerdings tauchen auf einmal alte Bekannte auf, jemand scheint mit ihr abrechnen zu wollen – doch warum? Welche Rechnung war offengeblieben?

1981

1981 wird Julia, inzwischen 60, von einem Auto angefahren und erinnert sich, denn sie weiß genau, es werden ihre letzten Minuten sein, ausgestreckt auf dem Straßenpflaster …

Zweiter Weltkrieg in London

Der Roman beginnt und endet natürlich 1981, das ergibt einen netten Rahmen. Dazwischen erzählt Kate Atkinson eine Geschichte aus dem Krieg, in dem die üblichen Versatzstücke so gut wie gar nicht vorkommen. Bombardierung, Verdunkelung, Hunger und Angst, das ist kaum der Rede wert. Das erlebt jeder von Julias Zeitgenossen. Aber Julia darf Spionin werden – es ist nicht wirklich ihre Wahl, sie hat Angst zu versagen und erweist sich doch als talentiert.

Spionageroman

Also ein Spionageroman? Ja, irgendwie schon – aber ohne das ganz große Kino zu bemühen. Natürlich tauchen Schwierigkeiten auf, natürlich wird es ein bisschen dramatisch, aber irgendwie bleibt auch die Spionage hinter Julias Erwartungen zurück. In der Realität ist der Job nicht ganz so glamourös wie in der Fantasie und in der Realität sind richtige Menschen betroffen.

Sympathische Protagonistin

Die ganz große Spionage-Spannung bleibt bei diesem Roman aus und trotzdem entwickelt er seinen ganz eigenen Sog. Wie so viele von Atkinsons jungen weiblichen Protagonistinnen nimmt auch Julia viel wörtlich, wundert sich leise z. B. über das Bild „ein Auge auf etwas werfen“. Und obwohl Julia nicht besonders viel über ihre Gefühle durchblicken lässt, sie ein eher praktischer Mensch zu sein scheint, fasziniert sie doch so sehr, dass man mehr über sie und ihre Geschichte erfahren möchte, dass man gerne eintaucht.

Gut – aber nicht groß

Allerdings sind es vor allem die Erwartungen, die man mit dem großen Namen der Autorin verbindet, die mich bei Stange gehalten haben. Plus mein Interesse an dieser besonderen Zeit und dem neuen Blickwinkel auf sie. Nach meinem letzten Roman von ihr, Case Histories, waren meine Erwartungen sehr hoch – und wurden deshalb auch ein wenig enttäuscht. Im Vergleich bleibt Transcription ein wenig zu oberflächlich und zu eindimensional, der Twist am Ende kommt zu unerwartet. Der hätte jede Menge Potenzial geboten für Handlung, für Gewissen, für Tiefgang … Kate Atkinson hat sich entschieden, sich auf die Transcription zu konzentrieren, und hat so einen guten Roman geschrieben, aber keinen großen.

Kate Atkinson. Transcription. London: Doubleday, 2018. | Deckname Flamingo. München: Droemer, 2019.

Mehr zur Autorin und ihren Büchern auf der Autor:innen-Seite Kate Atkinson.

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