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Kate Atkinson. Life After Life (2013)

Ursula Todd lebt ein Leben nach dem anderen, immer wieder erhält sie eine neue Chance, es besser zu machen, Fehler zu umgehen, ihren eigenen Tod zu vermeiden. Wie wäre es wohl, so viele Versuche zu haben, bis das Leben „richtig“ ist, bis man mit allem zufrieden sein kann? Darüber hat Kate Atkinson diesen wunderbaren Roman geschrieben.

Am 11. Februar 1910 wird Ursula Todd geboren – sie stirbt bei der Geburt – oder überlebt. Als mittleres von fünf Kindern einer relativ wohlhabenden Familie erlebt sie auf dem Land eine wunderbare Kindheit – und stirbt früh bei einem Badeunfall. Doch noch einmal wird sie geboren, der Badeunfall vermieden, aber sie fällt der Grippeepidemie 1918 zum Opfer …

Déjà-vus

Anfangs sind es kleine Verschiebungen oder Zufälle, die Ursula retten und ihr eine neue Chance geben. Dann kommen ihr manche Situationen bekannt vor, ein Déjà-vu, das hätten viele, beruhigt ihre Mutter sie. Bis Ursula ganz bewusst darangeht, ihr Leben, ihr Schicksal zu ändern: Mit acht Jahren stößt sie Dienstmädchen Bridget die Treppe hinunter, damit sie nicht zu den Siegesfeiern nach London fährt, von wo sie die tödliche Grippe mitbringt. Diese Grippe zu vermeiden, braucht mehrere Leben, sie erweist sich als hartnäckig.

Alternativen

Ursula wird ungewollt schwanger, ihre Tante verhilft ihr zu einem Schwangerschaftsabbruch, aber ihr Leben scheint ruiniert. Im nächsten Leben weiß sie, wo sie sich anders verhalten muss, um dieses Schicksal zu vermeiden. In einem Leben bricht sie die Schule ab und macht einen Kurs als Sekretärin, in einem anderen studiert sie Sprachen und reist durch Europa. In München lebt sie Anfang der 1930er-Jahre in einer Familie und lernt durch Zufall Eva Braun kennen – ein Zufall, an den sie sich in einem nächsten Leben erinnert und den sie sich zunutze macht. In einem Leben verliebt sie sich bei ihrem Aufenthalt in München in einen Deutschen und erlebt hier mit ihrer Tochter Frieda den Zweiten Weltkrieg, Bombenangriffe und Hunger, bis sie keinen anderen Ausweg sieht, als sich und ihre Tochter zu erlösen. Im nächsten Leben arbeitet sie während des Krieges in England in einem Ministerium, keine Ehe, keine Kinder …

Wann ist ein Leben „richtig“?

Teddy, der von allen geliebte kleine Bruder kommt im Zweiten Weltkrieg um, das möchte Ursula unbedingt ändern, rückgängig machen. Es braucht ein paar Leben, bis es gelingt. Ist das dann das „richtige“ Leben gewesen? Hat sie jetzt „alles richtig“ gemacht? Braucht es so viele Versuche, um richtig zu leben? Ursulas Gedanken dazu können wir nicht folgen, wir müssen uns als Leser unsere eigenen machen. Aber das provoziert dieser Roman geradezu: über unser eigenes Leben nachzudenken, Gedankenspiele anzustellen, wo wir vielleicht etwas hätten anders machen sollen, eine andere Entscheidung treffen – nur hätte diese dann zum gewünschten Ergebnis geführt oder wäre das Leben nur anders, aber nicht unbedingt besser verlaufen?

Leseempfehlung

Mit gut 600 Seiten hat Atkinson hier einen langen Roman geschrieben, dem komplexen Thema angemessen. So manchen werden die vielen Szenen während des Zweiten Weltkriegs stören, in denen die Autorin den Leser quasi mitten ins Geschehen wirft, ihn Angst, Grauen, Zerstörung miterleben lässt. In einer Intensität, der man sich nicht entziehen kann, fantastisch erzählt. So manches Leben von Ursula mag auf den ersten Blick belanglos erscheinen, irgendwann kommt der Gedanke an das Murmeltier und man fragt sich vielleicht, was noch Interessantes kommen kann – doch es kommt auf jeden Fall. Ein fantastisches Buch, wunderbar erzählt, eine Welt, in die man eintauchen kann, Figuren, die lebendig werden … Ein Roman, der sofort einen Platz unter meinen Lieblingsbüchern erhält!

Kate Atkinson. Life After Life. London: Doubleday, 2013. | Die Unvollendete. München: Droemer, 2013.

Mehr zur Autorin und zu ihren Werken auf der Autorenseite Kate Atkinson.

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