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Kate Atkinson. Behind the Scenes at the Museum (1995)

Ruby Lennox erzählt von ihrem Leben, vom Erwachsenwerden und von ihrer Familie. Sie beginnt mit dem Moment ihrer Zeugung, der bereits ein typisches Motiv der Familiengeschichte darstellt, denn ihre Mutter lässt das Ganze über sich ergehen. Wie schon viele Generationen von Frauen vorher vieles ertragen haben.

Ruby ist das jüngste Kinder von Bunty und George, zwei ältere Schwestern stehlen ihr regelmäßig die Schau. Die Familie lebt in York. In den 50er Jahren führt der Vater eine Tierhandlung, die Familie wohnt „Above the Shop“, nicht nur eine Ortsangabe, sondern auch eine Zustandsbeschreibung. Das intelligente Mädchen beobachtet ihre Familie, analysiert scharf, berichtet witzig bis lakonisch.

„Nur Ruby“

Die mittlere Schwester, Gillian, kommt schon als Kind bei einem Autounfall ums Leben. Die ältere Schwester, Patricia, entwickelt sich von der braven Streberin zur Rebellin, wird früh schwanger und verschwindet schließlich einfach. Nur Ruby bleibt übrig als Kind der Familie – doch schon lange vorher war „Nur Ruby“ der Name, den sie sich selber gegeben hat, als ungeliebtes Kind in einer Familie, in der nicht geliebt wird. Die Mutter der Kinder, Berenice, genannt Bunty, leidet unter ihrem Leben, unter ihrem Mann, unter ihrer Familie und lässt das jeden spüren.

Fußnoten der Familiengeschichte

Zwischen die Kapitel ihrer eigenen Geschichte eingeflochten erzählt Ruby in „Fußnoten“ auch von anderen Familienmitgliedern. Überwiegend sind es die Frauen, die die Familie bestimmen, die mit ihrem Los nicht zufrieden sind, die die falschen Männer aussuchen oder ihr Leben, das sich so falsch anfühlt, jedenfalls auf die Wahl des falschen Mannes schieben. Unglücklich zu sein scheint der Normalzustand aller Frauen der Familie, und nur wenige versuchen ihr Leben zu ändern und noch weniger schaffen es. Dieser Tenor zieht sich durch mehrere Generationen, durch Kriegs- und Friedenszeiten.

Familiengeheimnis

Dass auch Ruby zutiefst unglücklich ist, erfährt der Leser erst durch ihren Selbstmordversuch – herausragend erzählt, wie ich finde. Mit Hilfe einer Therapeutin schafft sie es, ein Trauma zu überwinden und dabei ein Familiengeheimnis aufzudecken. Doch das macht sie nicht automatisch glücklich. Auch Ruby muss erst noch einen falschen Mann heiraten und ein falsches Leben führen, bevor sie es schafft, ihren Platz zu finden.

Familienpuzzle

Vor über zwanzig Jahre ist dieser erste Roman der englischen Autorin Kate Atkinson erschienen und wurde prompt mit einem Preis bedacht. Die Anhäufung so vieler trauriger Frauenschicksale, Frauen, die zwar nörgeln und schimpfen, sich aber selten wehren, mag aus heutiger Persepektive in „alte Zeiten“ gehören – Atkinsons Erzählweise aber ist kein bisschen angestaubt. Ihre Fußnoten wählen Episoden aus der Vergangenheit nach einem Anlass aus, nicht chronologisch, so setzt sich das komplette Bild der Generationen eigentlich erst zum Ende des Romans zusammen. Die Lektüre ist ein Genuss, gerade wegen vieler gut beschriebener Details und Anspielungen und wegen des häufig witzigen, ja sarkastischen Tonfalls der Ich-Erzählerin Ruby, die all das Unglück ihrer weiblichen Verwandtschaft dadurch irgendwie auszugleichen scheint.

Ganz eigene Qualitäten hat übrigens auch die Rezension dieses Romans von Annette Meyhöfer, „Fußnoten aus dem falschen Leben“ in „Der Spiegel“ vom 24.2.1997, die ich deshalb gerne ebenfalls zur Lektüre empfehlen möchte.

Kate Atkinson. Behind the Scenes at the Museum. London: Doubleday, 1995. | Familienalbum. München: Diana, 1997.

Auszeichnungen: Whitbread (Costa) Book of the Year (1995), Boeke Prize (1996)

Mehr zur Autorin und ihren Werken auf der Autorenseite Kate Atkinson.

2 Gedanken zu „Kate Atkinson. Behind the Scenes at the Museum (1995)“

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