Deutschland

Mina Wolf. Wo ich bin ist vorne (2012)

Laura Lowe ist 28 Jahre alt, Standesbeamtin und bekennender Kitschfan. Unbeirrt glaubt sie, dass der Mann ihrer Träume eines Tages in ihr Leben treten wird und sie gemeinsam für immer glücklich sind. Weiterhin unerlässlich im Personal: die patente beste Freundin – hier Franzi, 1,30 Meter groß – und der beste schwule Freund – hier Attila.

„Wo ich bin ist vorne“ beginnt an dem Tag, an dem Laura nach der letzten Trauung des Tages den Scheidungsanwalt Paul Mölling erwischt, der vor dem Standesamt bei den Frischvermählten Werbung für seine Dienste macht. Ein arroganter Schnösel und Weiberheld ist er noch dazu, wie Laura sofort merkt. Trotzdem verliebt Laura sich in Paul.

Leser-Erwartungen

Das rosa Cover mitsamt Hochzeitstorte weckt Erwartungen in der Leserin: eine nette, wenn auch nicht unbedingt besonders tiefgründige, Geschichte mit einem schönen Happy End. Aber in diesem Falle sollte sie nicht zu viel erwarten. Die Charaktere bleiben in diesem Roman ziemlich blass und nicht mal wirklich konsistent, wenn auch alle sympathisch scheinen. 

Doch wieso verliebt sich Laura in ein Großmaul wie Paul? Und wieso ist er dann ausgerechnet an Laura interessiert? Nachdem beide ein Paar sind, scheint es, als habe er seinen Charakter einfach gewechselt. Erklärungen gibt es keine, die Figur von Paul bleibt einfach vage in der Luft hängen. Pauls unnachahmlicher Geruch nimmt mehr Raum ein, als der Mensch.

Happy End? – findet statt

Genauso wie die Liebesgeschichte auf die das rosa Cover verweist: Laura und Paul kommen zusammen, ja, aber der Leser ist nicht wirklich dabei. Alles andere scheint der Protagonistin wichtiger, beschreibt sie ausführlicher, als die tatsächlichen gemeinsamen Erlebnisse. (Und damit meine ich nicht Sexszenen!)

Auch das eigentliche Happy End wird der Leserin vorenthalten. Die Handlung endet damit, dass Laura ihre Gleichgültigkeit Paul gegenüber diagnostiziert. Aus dem zweiseitigen Epilog wird klar, dass die beiden doch wieder zusammengefunden haben und Paul macht Laura noch schnell einen Heiratsantrag. Wie das alles zustande gekommen ist, beschreibt Laura in drei knappen Sätzen – dabei wäre die Szene bestimmt sehr lustig zu lesen gewesen. Und ist es nicht der Höhepunkt der Lektüre eines Liebesromans, das Happy End möglichst nah miterleben zu dürfen?

Wo bleibt das Lektorat?

Dazu kommen dann leider noch ganz offensichtliche Fehler. Wenn ein Kapitel mit kaltem, regnerischen Wetter beginnt und kurze Zeit später Rücken genüsslich in die Sonne gereckt werden, fördert das nicht den Lesegenuss.

Schade. Eine Standesbeamtin als Hauptfigur ist eine nette Idee. Die Sprache ist nicht so schnodderig wie in vielen modernen Frauenromanen und manche Überlegungen der Protagonistin sind gar nicht blöd – wenn sie ein wenig pointierter dargestellt wären. Was fehlt, ist leider das Emotionale: bei den Mädelsabenden mit Attila ist die Leserin dabei, bei der Liebesgeschichte mit Paul muss frau sich mit kleinen, trockenen Bröckchen zufrieden geben, die dann leider doch vor Kitsch triefen. Wieso sollte ausgerechnet der zynische Paul solche Phrasen von sich geben? Und wieso greift das Lektorat nicht ein oder protestiert wenigstens gegen ein Cover, das völlig falsche Erwartungen weckt?? Diese Rätsel bleibt ungelöst.

Mina Wolf. Wo ich bin ist vorne. München: Piper, 2012.

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