Guernsey, Unterhaltung

Ricarda Martin. Das Liliencottage (2018)

Sharon Leclerque ist Mitte 30 und mit ihrer glamourösen Modelkarriere geht es bergab. Als die Trennung von ihrem Freund Ben dazukommt, flüchtet sie sich auf die Insel Guernsey, auf der sie geboren ist. Dort ist sie bei ihrer Ersatzgroßmutter Theodora Banks immer willkommen. Und schon bald taucht der gutaussehende Banker Raoul auf und macht sich daran, Sharons Herz zu erobern.

Guernsey als Schauplatz – da kann ich nie widerstehen. Und wieder ein Blick zurück auf die Zeit der deutschen Besatzung, ein Kapitel der dunklen deutschen Geschichte, das nur zu gerne übersehen wird. Hört sich eigentlich nach den Zutaten für einen unterhaltsamen Roman an, in dem man für einige Zeit einfach versinken kann …

Modelleben

Geklappt hat das leider nicht. Protagonistin Sharon Leclerque sieht mit Mitte 30 das Ende ihrer Karriere nahen und versucht dem entgegenzuarbeiten, indem sie gar nichts mehr isst. Ihre große Liebe Ben will sie heiraten und eine Familie mit ihr gründen, dabei ist Sharon gerade erst sehr erleichtert, dass sich eine Schwangerschaft in einem sehr frühen Stadium von selber erledigt hat. Die Vorstellung, Kinder zu haben, erfüllt sie mit Grauen. Als sie dann kurze Zeit später bei einer Modenschau zusammenbricht und Presse und Modewelt scheinbar geschlossen über sie herfallen, flüchtet sie in die heile Welt ihrer Kindheit: zu Theodora nach Guernsey.

Heile Welt

Während sich Sharons Mutter, eine berühmte Pianistin, nie wirklich um ihre Tochter gekümmert hat, fand diese bei Theodora Verständnis und Geborgenheit. Und auch wenn sich Sharon lange nicht bei Theodora gemeldet hat, ist sie dort sofort willkommen. Zum ersten Mal seit Langem kann sie wieder schlafen und ein wenig zur Ruhe kommen, auch wenn das Nicht-Essen längst zur zweiten Natur geworden ist. Bei einem Spaziergang klappt Sharon allerdings beinahe wieder zusammen, aber der gutaussehende Raoul ist zur Stelle. Er wohnt ausgerechnet im ehemaligen Elternhaus von Sharon.

Geheimnisse

So ganz heil bleibt die Welt nicht, denn es stellt sich heraus, dass Theodora Krebs hat, im Endstadium. Sharon bleibt, um sie zu pflegen. Dabei erhält sie Unterstützung von ihrer ersten großen Liebe Alec, der sehr launisch ist, mal sehr abweisend, dann wieder sehr charmant. Natürlich verbirgt auch er ein Geheimnis. Wie übrigens Raoul auch. Vor allem aber ist es die Geschichte Theodoras während des Zweiten Weltkriegs, den sie als Waise und nach einem Unfall ziemlich entstellt unter der deutschen Besatzung verbringt, deren Geheimnis entschlüsselt wird und recht ausführlich erzählt.

Sammelsurium

Die Grundidee des Romans hat mir sehr gefallen, klar, ich verschlinge seit Jahren alles, was auf Guernsey spielt. Aber hier schien irgendwie nichts zusammenzupassen. Die Figur der Sharon blieb seltsam leblos und weder als Model noch als geläuterte Guernsey-woman glaubwürdig. Ihre Magersucht lebte von Klischees, und nicht nur die. Der dunkle Fremde, die alte Liebe, die immer noch von einem Geheimnis umweht und nicht vorbei ist, die intrigante Nebenbuhlerin, die das dunkle Geheimnis des jugendlichen Helden kennt. Die Figur der Theodora, Über-Großmutter mit schwerer Kindheit, die schwer hinkend und mit dicken Narben im Gesicht doch immer nur zu jedem anderen gut war. Die mit 15 ein uneheliches Kind von einem blinden Deutschen bekam, das ihr natürlich weggenommen wurde. Ebenso wie ihr Elternhaus erst von den Deutschen, dann von einer zurückkehrenden Familie einfach okkupiert wurde. Ein versteckter Schatz, eine hinterhältige Falle – uff, was denn noch alles?

Sprachlicher Stil?

Vielleicht wäre es trotzdem noch unterhaltsam zu lesen gewesen, wenn wenigstens der Stil gepasst hätte. Aber der schien mir ein einziges Chaos, mal absolut nichtssagend, dann viel zu hochgestochen und förmlich (Sharon spricht immer wieder davon, ihren alten Freund Alec „aufzusuchen“, auch Theodora findet dann kein anderes Wort), während die Szenen aus dem letzten Jahrhundert auch mal in recht modernem Jargon erzählt sind.

Lektorat

Auch wenn ich mich häufig geärgert habe, habe ich den Roman doch zuende gelesen, immer mit der Frage im Hinterkopf, was ein gutes Lektorat aus dem Roman noch hätte machen können. Substanz war ja durchaus da. Es ist schade, dass viele Selfpublisher immer noch glauben, auf ein Lektorat verzichten zu können – die Überraschung kam dann im Impressum am Ende des E-Books: Der Roman hatte ein Lektorat, ist in einem „richtigen“ Verlag erschienen, wenn auch „nur“ als E-Book.

Heißt das jetzt, dass für E-Books keine normalen Qualitätsstandards gelten (müssen)? Oder für Unterhaltungsromane? Wird es nicht als notwendig angesehen, weder von den Verlagen noch von den Lesern, die die Autorin ja scheinbar hat? Oder bin ich einfach zu pingelig, zu anspruchsvoll, weil ich schon zu viel gelesen habe?

Bücher-Hypes

Dann stellt sich mir die ganz persönliche Frage, warum ich immer wieder bei Romanen lande, von denen ich am Ende enttäuscht bin … Die – bisher vergebliche – Suche nach der genialen und bisher unentdeckten Autorin oder Story? Ganz abseits von allen Hypes um aktuelle Bücher und Autoren, abseits vom Büchermarkt-Mainstream? Oder einfach eine Art von Schnäppchenjagd? Nach allen bisherigen Enttäuschungen sollte ich das wohl besser aufgeben und doch mehr auf all die Empfehlungen von Blogger- und Journalistenkollegen hören. Und mich auf mein Studium besinnen und wieder mehr zu „Literatur“ greifen, auch wenn man über dieses Etikett mal diskutieren sollte.

Ricarda Martin. Das Liliencottage. München: Droemer Knaur, 2018.

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