England, Roman

Alison Weir. Anne Boleyn (2020)

Biografischer Roman über das kurze Leben von Anne Boleyn, zweite Ehefrau des englischen Königs Henry VIII.

Anne Boleyn, Tochter eines niedrigen Adeligen zu Anfang des 16. Jahrhunderts in England, bringt es zur Königin – bevor sie dafür mit dem Leben bezahlt, mit gerade mal 35 Jahren. Annes Vater diente bereits am Hof Henrys VII. und konnte für seine Töchter, Anne und die etwas ältere Mary, aushandeln, dass diese an den Hof von Margarete von Österreich gehen konnten. In Mechelen, wo die Statthalterin der Niederlande residierte, wurden die beiden Hofdamen und genossen dort eine gute Erziehung. Anne war wohl erst 12, als sie das Elternhaus verließ. Nach zwei Jahren in Flandern wechselten die Schwestern an den französischen Hof, wo sie fünf oder sechs Jahre blieben.

Henry VIII.

Der frühe französische Einfluss prägte Anne, sodass sie als Hofdame von Katharina von Aragón, der ersten Ehefrau Henrys VIII., schnell als die eleganteste Frau des Hofes galt. Sie war wohl auch gebildet und schlagfertig, sagen ihre Biografen. Dass sie auch genau wusste, was sie wollte, bewies sie, als der König begann, sie um umwerben. Er hatte schon viele Mätressen gehabt, wohl auch Annes Schwester Mary. Aber Anne weigerte sich, seine Geliebte zu werden. Und Henry VIII. musste unbedingt noch einen Sohn bekommen, um seine Nachfolge zu sichern. War er wirklich rasend verliebt in Anne, wie es Alison Weir in ihrem Roman beschreibt?

Trennung der Kirche von Rom

Jedenfalls betreibt er seine Scheidung, verhandelt mit dem Papst, weil er die Ehe mit Katharina für ungültig erklären lassen will. Diese war zuvor bereits mit Henrys Bruder verheiratet gewesen, wenn auch nur wenige Tage. Doch der Papst will nicht mit sich verhandeln lassen, alle diplomatischen Versuche ziehen sich endlos hin und scheitern am Ende. Bis Henry die englische Kirche für unabhängig von Rom und sich selbst zu ihrem Oberhaupt erklärt. Anne soll Sympathien für die Thesen Luthers gehabt haben und den Ablasshandel verabscheut.

Hochzeit und Fall

Es dauert Jahre, in denen Königin Katharina von Aragón sich beharrlich weigert, eine Trennung zu akzeptieren. Als strenge Katholikin ist es für sie unmöglich. Als Anne schließlich schwanger wird, entschließt sich Henry endlich zu einer schnellen Trauung. Doch Anne bekommt keinen Sohn, sondern eine Tochter: Elizabeth, die spätere I. von England. Drei Söhne erwartet Anne später noch, doch sie werden tot geboren. Wahrscheinlich war Anne bei der Geburt ihres ersten Kindes bereits Anfang 30, zu damaliger Zeit also „uralt“ … Und Henry will immer noch einen Sohn und macht sich heimlich auf die Suche nach einer Frau, die ihm diese gebären kann. Um Anne loszuwerden, konstruieren seine Räte eine Hochverratsanklage. Sie landet im Tower und wird kurz darauf hingerichtet.

Einsam und stolz

Der steile Aufstieg Anne Boleyns zur Königin hat ihr keine Freunde eingebracht. Sie war wohl auch herrisch, hat teilweise kühl kalkuliert, um ihre Ziele zu erreichen. So wird überliefert, sie habe Henry nie geliebt, sondern wollte ihrer Familie zu mehr Einfluss verhelfen. Die Feindschaft zu Katharina und deren Tochter Maria scheint sehr ausgeprägt gewesen zu sein. Die einzigen Vertrauten Annes waren ihr Buder George und Vater Thomas, die beide bei Hofe dienten. George wurde ebenfalls hingerichtet. Wirkliche Freundinnen scheint sie nicht gehabt zu haben und auch das Verhältnis zu ihrer kleinen Tochter war distanziert. Hier beweist die Autorin ihr Talent, diese Züge Annes nicht zu verheimlichen, aber sie trotzdem höchst menschlich darzustellen.

Dicht an der historischen Forschung

Autorin Alison Weir hat schon früh Interesse an historischen Stoffen entwickelt. Vor allem die englischen Königinnen haben es ihr angetan. Also studierte sie Geschichte, war kurz Geschichtslehrerin, bevor sie begann, historische Biografien zu schreiben. In diesem Buch allerdings erlaubt sie ihrer Fantasie, Lücken zu füllen und Dialoge zu entwickeln, die ihr nach der eher dürftigen Quellenlage wahrscheinlich erschienen. Das ist für mich das Besondere an diesem Roman: Nichts ist wirklich erfunden, für alles gibt es Belege oder zumindest deutliche Hinweise. Und die Gefühle Anne Boleyns sind zwar nur nachempfunden, aber macht es so nicht ganz besonders viel Sinn? Ein biografischer Roman dicht an der historischen Forschung: hervorragend!

Alison Weir. Anne Boleyn. Die Mutter der Königin. Berlin, Ullstein 2020.| Six Tudor Queens: Anne Boleyn, A King’s Obsession. London, Headline 2017.

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