ausgezeichnet, Literatur

Angelika Overath. Flughafenfische (2009)

Ein internationaler Flughafen am Meer will von seinen Unzulänglichkeiten ablenken und akzeptiert freudig die Spende eines großen Aquariums. Ein Korallenriff bietet den Reisenden von da ab einen Fixpunkt in dieser vagen Welt der Übergänge. Flughafenfische erzählt von drei Menschen im Übergang, von Veränderungen, von ungewollten, ersehnten und vielleicht längst überfälligen.

Ein riesiges Meerwasseraquarium in einem Flughafengebäude, darin die “Flughafenfische”. Unbeeindruckt vom Gewusel und möglichen Problemen der Reisenden ziehen darin die Fische ihre Runden. Tierpfleger Tobias Winter betreut das Aquarium und seine Lebewesen und hat damit ausgerechnet im lebhaften An- und Abreisen des Flughafens seine Insel gefunden, von den Passagieren – und scheinbar von der Welt – ebenso abgeschottet wie seine Meeresbewohner. Ihnen gilt seine Aufmerksamkeit, daneben beschäftigen abstrakte Fragen sein Denken: Er will die Müdigkeit erforschen, erst sammeln, später katalogisieren…

Neugierige Fragen – kleine Ausblicke

Im Zeitalter der Öffentlichkeitsarbeit ist der Beobachter Tobias Winter seit Neuestem gezwungen, Fragen von Passagieren zu beantworten. Normalerweise tut er das wohl kurz angebunden, um Gespräche zu vermeiden. Doch als Elis auftaucht, eine junge Magazin-Fotografin, lässt er sich vorsichtig auf eine Art Unterhaltung ein: Er berichtet ihr von der Faszination seiner Fisch-Welt, sie von Szenen ihrer Reisen. Damit öffnet sie eine kleine Tür für die Außenwelt, doch der Aquarist scheint keine Verwendung für sie zu haben.

Elis und die Müdigkeit an der Welt

Elis ist gerade, wie immer, unterwegs und zwischen zwei Flügen. Sie kommt aus Asien, bis zum Anschlussflug muss sie in diesem Niemandsland Flughafen die Zeit totschlagen. Ihre tiefe Müdigkeit konkurriert mit ihrer Nervosität, schlafen kann sie nicht, doch für alles andere ist sie eigentlich auch zu müde. Die Fische faszinieren sie. Oder vielleicht auch nur der Tierpfleger, von dem sie zuerst nur den Arm gesehen hatte, der von oben im Wasser hantierte. Um sich von der Müdigkeit und dem Ende einer Affäre abzulenken, beginnt sie die Unterhaltung mit Tobias Winter.

Insel-Welten

Das Gespräch wird zu einer vorsichtigen Annäherung, das Aquarium dient als Thema. Wie der Flughafen ein Ort außerhalb des gewöhnlichen Lebens ist, ist dies ebenso der große Glaskasten mit einem Stückchen Korallenriff innerhalb des Flughafens. Jeweils eigene Welten, in denen Zeit eine andere Bedeutung hat als im Alltag. Mit einem wesentlichen Unterschied: Die Bewohner des Aquariums und ihr Pfleger bleiben, eine Insel innerhalb der Transithallen, in denen die Fluggäste kommen und gehen.

Der Raucher

Neben Tobias Winter und Elis gibt es noch eine dritte Figur, von der in Flughafenfische berichtet wird, obwohl er nie in die Nähe des Aquariums kommt. “Der Raucher”, Professor für Biochemie, wie man erfährt, hat sich mit einer Flasche Whisky und Zigaretten in einen Raucherbereich verkrochen, weil er die Welt nicht mehr versteht. Gerade hat seine Frau sich nach 30 gemeinsamen Jahren per SMS von ihm getrennt und seine verworrenen Gedanken suchen nach einem Grund. Es habe doch “so gut gepasst”. Dazwischen Erinnerungsfetzen an einen frühen Urlaub in der Bretagne, Überlegungen zum Plastikkasten für die Raucher (eine Analogie zum Aquarium?), zum Whisky und zum kratzenden Hals. In den Kapiteln des Rauchers gibt Overath nur seine Gedanken wieder, in Ich-Form, so unzusammenhängend wie sie wohl in einem Kopf auftauchen würden. Handlung gibt es hier am Wenigsten und das Wenige erschließt sich nur aus den Gedanken des Verlassenen, bis hin zu seinem Zusammenbruch.

Wie im Vorübergehen

Auch die Perspektiven von Tobias Winter und Elis haben jeweils eigene Kapitel, hier beschreibt Overath als auktoriale Erzähleriin auch Bewegungen und Abläufe – und scheint doch immer im Kopf des jeweiligen Protagonisten drin zu stecken. Kommentiert wird auch die scheinbare Annäherung dieser beiden nicht, aber Menschen, Gedanken und Verhalten sind so gut beobachtet, dass es nicht nötig erscheint. Die Sprache bleibt immer leicht, fast schwebend unverbindlich wie ein Vorübergehen im Flughafen.

Als Leser findet man sich unversehens in der Rolle des Beobachters wieder, wie man sie selber vielleicht beim Warten auf dem Flughafen einnehmen würde. Ein wenig distanziert betrachtet man die drei Menschen, aber doch zunehmend neugierig und fasziniert … die 173 luftig bedruckten Seiten sind da schnell verschlungen!

Angelika Overath. Flughafenfische. München: Luchterhand, 2009.

Ernst-Willner-Preis in Klagenfurt 2006; Longlist Deutscher Buchpreis 2009

Und was meinst du dazu?