USA

Anne Tyler. Digging to America (2006)

Zwei Paare aus Baltimore adoptieren zwei kleine Mädchen aus Korea – und künftig wird an jedem 15. August gemeinsam eine „Arrival Party“ gefeiert. Die Familien freunden sich an und setzen sich auseinander, mit sich selber, mit den anderen, mit dem Dazugehören und dem Fremdfühlen.

Am 15. August 1997 beginnt auf dem Flughafen von Baltimore die Geschichte von Jin-Ho und Sooki in Amerika, zwei Babys aus Korea, die zufällig mit dem gleichen Flug zu ihren neuen Eltern kommen. Jin-Ho wird von der gesamten Großfamilie Dickinson-Donaldson erwartet und stürmisch begrüßt, es wird gefilmt, fotografiert … ein großer Tag. Die zierliche Sooki wird von ihren neuen Eltern und der neuen Oma abgeholt, nicht minder sehnlich erwartet, doch auf eine viel stillere Art.

Zwei Welten in Amerika

Jin-Hos neue Mutter, Bitsy, möchte ihrer Adoptivtochter die koreanischen Wurzeln bewahren und der Kontakt zu einem anderen koreanischen Adoptivkind scheint da genau richtig. Außerdem kann man sich gemeinsam bestimmt noch besser freuen, also sucht sie den Kontakt zu Sookis Familie. Die hat selber fremde Wurzeln, die Familien stammen ursprünglich aus dem Iran, Sooki wird bei ihnen zu Susan amerikanisiert.

Arrival Day

Aus vorsichtigen ersten Treffen und dem jährlichen Fest der „Arrival Party“ wird eine recht enge Freundschaft zwischen den beiden ungleichen Paaren. Während Bitsy die übervorsichtige Übermutter gibt – alles ökologisch wertvoll, gesunde Ernährung etc. -, die mit ihrem Sendungsbewusstsein gelegentlich nervt, führt Susans Mutter, Ziba Yazdan, das Leben einer modernen jungen Mutter. An zwei Tagen in der Woche kümmert sich ihre Schwiegermutter, Maryam, um die kleine Susan. Maryams Sichtweise auf die Ereignisse und die Familien ist es, die der Leser überwiegend zu lesen bekommt.

Schwierige Wurzeln im Iran

Mayam ist noch im Iran aufgewachsen, hatte begonnen zu studieren, bevor sie wegen ihrer politischen Aktivitäten Schwierigkeiten bekam. Ihre Eltern sahen den einzigen Ausweg darin, sie mit dem Sohn von Freunden zu verheiraten, der in Amerika lebte. Auch wenn die Idee einer arrangierten Ehe Maryam heftig widerstrebte, der junge Mann gefiel ihr. In Baltimore versuchte sie dann eifrig, amerikanisch zu leben, aber die eigenen Traditionen nicht zu vergessen – und blieb zwischen den Welten hängen. Weder hier noch dort wirklich dazugehörend, hat sie sich ihr Leben in einer Nische eingerichtet, während Sohn Sami sich stets weigerte Farsi zu sprechen, sein Auflehnen gegen ererbte Wurzeln, die er nicht mehr als seine anerkennen wollte.

Intelligent und unterhaltsam

Spektakuläres passiert nicht wirklich in diesem Familienroman von Anne Tyler. Über fünf oder sechs Jahre folgt er dem Leben der Familien, mit Maryam im Zentrum. Aber dabei beobachtet Tyler sehr genau, beschreibt kleine Begebenheiten, die sehr viel entlarven, zeichnet lebendige Figuren und gibt, intelligent und teilweise sehr amüsant, sehr gute Einblicke, was es heißen kann, sich fremd zu fühlen – fremder als alle Menschen sich sowieso fühlen.

Anne Tyler. Digging to America. New York: Knopf, 2006. | dt.: Tag der Ankunft. Berlin: List, 2007.

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