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Cay Rademacher. Der Trümmermörder – Frank Stave 1 (2011)

Im Januar 1947 frieren und hungern die Menschen in Hamburg inmitten der Trümmer, die der Krieg von der Stadt übriggelassen hat. Als in einer Ruine die Leiche einer nackten Frau gefunden wird, bekommt Polizist Frank Stave einen neuen Fall. Gemeinsam mit einem Kollegen von der Sitte und einem Lieutenant der englischen Besatzer soll er den Mörder finden.

An einem eiskalten Januarmorgen wird Oberinspektor Frank Stave aus seiner Wohnung abgeholt, weil eine Leiche gefunden wurde. Ein Telefon hat er natürlich nicht. Die Behausung ist karg, es gibt selten Strom, kein Brennmaterial, die Bettdecke ist an der Wand festgefroren. Doch immerhin gehört Stave zu den Glücklichen, die überhaupt noch eine Wohnung haben. Das Nachbarhaus, in dem er früher mit seiner Frau gewohnt hat, liegt in Trümmern, wie so viele andere Gebäude in der Stadt. Vor allem die Arme-Leute-Viertel haben die Bomben erwischt.

Unbekannt und nicht vermisst

In einem solchen Viertel, inmitten von Trümmern, wurde die Leiche einer jungen Frau gefunden. Sie ist nackt, es gibt keinerlei Hinweise auf ihre Identität. Die Befragungen in den Behelfsunterkünften der Umgebung erbringen nichts, jeder ist viel zu sehr mit dem eigenen Überleben beschäftigt, als dass er sich um Nachbarn oder Passanten scheren würde. Niemand scheint die Frau zu vermissen, es gibt keine Vermisstenmeldung, auch Plakate bringen kein Ergebnis.

Ermittlungsteam

Bei seinen Ermittlungen erhält Frank Stave Unterstützung von seiner Sekretärin Erna Berg, von Lothar Maschke, ein Kollege von der Sitte, und dem englischen Lieutenant James MacDonald. Ein Besatzer, der ihm ständig auf die Finger schaut, hat Stave gerade noch gefehlt, doch die Beziehungen des jungen Mannes sind dann ganz nützlich – und er hat ein Auto zur Verfügung, und was noch wichtiger ist: Benzin. Auch der zuständige Staatsanwalt, Doktor Albert Ehrlich, entpuppt sich als wertvolle Unterstützung. Er ist Jude, hatte aber nach England fliehen können und engagiert sich jetzt bei der Aufklärung von Kriegsverbrechen und entsprechenden Prozessen.

Verhungern oder erfrieren?

Nach der ersten Toten werden noch weitere gefunden, ebenfalls nackt, unbekannt, nicht vermisst. Der Druck auf die Ermittler wird immens, ein „Trümmermörder“ in einer Stadt, in der die wichtigste Frage gerade ist, ob man zuerst erfriert oder vorher verhungert, steigert die allgemeine Anspannung natürlich gewaltig. Allerdings: Die Identität der Toten lässt sich einfach nicht klären, trotz aller Fleißarbeit der Polizisten, Befragungen, vielen Plakaten, die überall ausgehängt werden. Erst nach Wochen hat Stave einen Geistesblitz und stellt einen Zusammenhang her, der endlich zur Aufklärung des Falles führt.

Zähe Ermittlungen

Der Fall dieses Krimis ist nach Auskunft des Autors historisch belegt, allerdings wurde er in Wirklichkeit nie aufgeklärt. Rademacher scheint diese Aufklärung fast hinten anzuhängen an die Story, die ganze Ermittlung hat lange nicht das Tempo, das man aus Krimis sonst gewohnt ist. Allerdings ist das hier nicht wirklich ein Manko. Denn natürlich liegt vieles in der Zeit und den Umständen begründet: Wo die Infrastruktur fehlt, dauert alles länger. Es gibt nur wenige Autos und so gut wie kein Sprit, nicht mal für die Polizei. Es gibt kein Fernsehen, gerade erst genehmigen die englischen Besatzer einen Radiosender, die dünne Zeitung erscheint wegen Papiermangel nur zweimal in der Woche. Die Behörde hat zwar ein Telefon – aber sonst fast niemand. Wenn man sich also zu einer Befragung zu Fuß ans andere Ende von Hamburg aufmachen muss, dann dauert das halt seine Zeit.

Historische Kulisse

Der historische Hintergrund dieses Kriminalfalles macht das Buch aus: Als Leser kann man sich auf einmal vorstellen, wie es damals aussah, wie sich der Alltag für die meisten Menschen damals anfühlte. Immerzu frieren, weil nirgendwo richtig geheizt werden konnte, immer hungrig, weil es kaum etwas zu essen gab. Graubrot mit Sägemehl gestreckt, Tee aus Brennnesseln, Suppe aus undefinierbaren Zutaten. Der Schwarzmarkt wird unentbehrlich und ist doch verboten. Und schnell holt einen die jüngste Vergangenheit ein, die Gräuel von Krieg und Nazizeit sind noch allzu lebendig. Man hat den Krieg überlebt – aber noch fühlt es sich nicht nach einem neuen Leben an.

Schon allein wegen dieser sorgfältigen Recherchen, dessen Ergebnisse Rademacher uns wie nebenbei durch den Alltag seines Polizisten Stave vermittelt, lohnt sich die Lektüre. Ein eindringlicher Blick in die Nachwirkungen des Krieges für das Leben jedes Einzelnen. Lebendiger Geschichtsunterricht via Krimi.

Cay Rademacher. Der Trümmermörder. Köln: Dumont, 2011. (Frank Stave 1)

Mehr zum Autor und zu seinen Krimis auf der Autorenseite Cay Rademacher.

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