Italien, Krimi

Donna Leon. Das Mädchen seiner Träume – Commissario Brunetti 17 (2009)

Commissario Brunettis siebzehnter Fall beginnt deprimierend, endet so und mittendrin wird die Stimmung auch nicht viel besser. Zwischen zwei Beerdigungen erzählt Donna Leon die Geschichte vom Tod eines jungen Mädchens, der elfjährigen Roma Ariana, die Brunetti bis in seine Träume verfolgt.

Der Krimi beginnt mit einem sehr privaten Moment Brunettis: der Leser darf ihn bei der Beerdigung seiner Mutter beobachten – nach bisher 16 Bänden mit Brunetti gehören wir als Leser aber vermutlich sowieso schon zur Familie. Den Segen am Grab von Mutter Amelia spricht ein Freund von Brunettis älterem Bruder Sergio, Padre Antonin Scallon. Brunetti hat ihn aus der Schulzeit als Raufbold in Erinnerung und so ist er mehr als skeptisch, als Padre Antonin mit einem Anliegen in der Questura auftaucht.

Kirchenmänner und Vorurteile

Ein windiger Prediger, Leonardo Mutti, solle seinen Anhängern große Summen an Spenden abschwatzen – Padre Antonin drückt es vorsichtiger aus, doch er macht sich Sorgen um den Sohn einer Freundin. Brunetti geht der Sache nach, doch für ihn steht zunächst Padre Antonin auf dem Prüfstand: Wie glaubwürdig ist er selber? Wieso wurde er von seinem Missionarsposten strafweise nach Italien zurückversetzt? Die Erinnerungen aus der Kindheit wirken nach… und der Kirche steht er sowieso sehr skeptisch gegenüber.

Ehefrauen zur Tarnung

Da Brunetti kein anderer wirklich gläubiger Mensch in seinem Bekanntenkreis einfällt, befragt er sogar seine Schwiegermutter zu ihrem Glauben und zu ihrer Haltung zur Kirche. Sie habe sich entschieden zu glauben, sagt die Contessa sehr weise, aber wer der Kirche vertraue, könne nicht ganz bei Trost sein. Auch Signorina Elettra wendet ihre Recherchefähigkeiten an, doch über den zweifelhaften Prediger kann sie nichts erfahren. Also entschließen sich Brunetti und Vianello samt ihren Ehefrauen zum Besuch einer der Versammlungen. Der Prediger ist wortgewandt, doch um Spenden bittet er an dem Abend nicht, sodass Brunetti nicht weiterkommt.

Eine Tote im Canale Grande

Der eigentliche Fall dieses Bandes beginnt allerdings erst nach rund 130 Seiten mit dem toten Mädchen, das Brunetti und Vianello aus dem Canale Grande ziehen. Ungefähr zehn Jahre alt und sehr hübsch mit hellen Haaren, die sich wie Seide um Brunettis Hände legen … Niemand hat das Mädchen als vermisst gemeldet. Erst als sich bei dem Mädchen eine Taschenuhr und ein Ehering finden wird einiges klar: Ganz offensichtlich handelt es sich um Diebesgut und die Tote gehörte zu den Roma-Kindern, die sich und ihre Familien durch Diebstähle unterhalten müssen.

Unglück oder Mord?

Im Laufe seiner Ermittlungen besucht Brunetti das Roma-Lager, spricht mit den Eltern des Mädchens – Ariana – und auch mit der Familie, die sie bestohlen hatte. Desinteresse, Brutalität, Unterdrückung bestimmen das deprimierende Bild, das sich Brunetti bietet. Und als er der Aufklärung des Todesfalles endlich näher zu kommen scheint, sind es wieder einmal die Mächtigen, die sich freikaufen können von ihrer Schuld. Übrig bleibt die Leiche des Mädchens Ariana, die niemandem mehr etwas bedeutet, sodass am Ende die Stadt für eine Beerdigung sorgt und Brunetti und Vianello die einzigen Trauernden am Grab sind. Abgesehen von Padre Antonin, der einen Segen spricht, und so eine Spur von Hoffnung in Brunettis Welt bringt.

Ruhig und nachdenklich

Das Mädchen seiner Träume ist kein klassischer Krimi mit einem Mordfall und einer logischen Ermittlung und der Überführung des Mörders. Auf den ersten 130 Seiten verfolgt Brunetti nicht besonders eifrig die Vorwürfe von Padre Antonin, so richtig aufklären kann er die Sache nicht. Es lässt sich auch nicht endgültig feststellen, ob das Mädchen Ariana ermordet wurde oder ob es sich um einen Unglücksfall handelt. Ein Unglück waren auf jeden Fall die Lebensumstände Arianas und dass ihr so viele Jahre ihres Lebens geraubt wurden. Mit solchen Gedanken über das Leben der Roma-Kinder, über die Kirche, über die Sonderstellung der Mächtigen, die sich meist aus unangenehmen Situationen herauswinden (oder -kaufen) können, über Vorurteile und Fremdbestimmung beschäftigt sich Brunetti in diesem Roman. Dass es trotzdem keine deprimierende Lektüre ist, dafür sorgen die sympathischen Figuren, die nie ins Jammern verfallen, die Ironie und der Humor von Brunettis Frau Paola und der Familienalltag.

Donna Leon. Das Mädchen seiner Träume. Commissario Brunettis siebzehnter Fall. Zürich: Diogenes, 2009. | The Girl of his Dreams. New York: Atlantic Monthly Press, 2008. Übersetzung Christa E. Seibicke (Commissario Brunetti 17)

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