Kanada, Literatur

Donna Morrissey. Leuchtfeuer (2008)

Sylvanus Now, interessierten Lesern von Donna Morrissey schon bekannt aus Der Geruch von Salz (dt. 2009, dtv, Originaltitel: Sylvanus Now, Penguin Toronto, 2005), liegt nach einem Herzinfarkt in Krankenhaus. Aus dem Anlass kommt auch Tochter Sylvie in das heimatliche Neufundland. Die Sorge um den Vater weckt viele Erinnerungen an ihre Kindheit, keineswegs nur gute.

Das Wiedersehen mit der Mutter ist von diesen Erinnerungen belastet: Sylvie fühlte sich immer abgelehnt, ungeliebt. In ihren ersten Lebensjahren wohnte sie gar bei ihrer Großmutter im Nachbarhaus, ihre Eltern besuchten sie täglich. Auch später war immer ihr jüngerer Bruder Chris Mamas Liebling.

Sylvie nutzt den Besuch in der Heimat auch für einen neuen Versuch, Chris zu überreden, etwas aus seinem Zeichentalent zu machen. Sie denkt an eine Kunsthochschule, auch wenn er dafür die Familie verlassen müsste. Chris sträubt sich zunächst – und hat auf einmal einen eigenen Plan: Er will mit Sylvie fliegen und dann auf einem Öl-Bohrturm arbeiten. Das lässt er sich nicht mehr ausreden.

Des Bruders Hüterin

Wie sich herausstellt, hat hier Ben seine Finger im Spiel. Er stammt aus demselben Ort wie die Geschwister Now, studierte an derselben Universität wie Sylvie und arbeitet auf dem Bohrturm. Sylvie verbindet auch eine Liebesgeschichte mit Ben, die aber nur gelegentlich aufblitzt und überwiegend aus Sylvies Sehnsucht besteht.

Sylvie geht auf Bens Vorschlag ein und begleitet die beiden Männer zum Bohrturm. Sie fühlt sich für ihren Bruder verantwortlich und genießt Bens Nähe. Aber sie fühlt sich nicht wohl dort, ahnt das Unheil. Zu Recht, wie sich herausstellt.

Ungewöhnlich, aber fesselnd

Leuchtfeuer, bzw. What They Wanted, ist der zweite Band einer Trilogie um Sylvanus Now, auch wenn er in diesem Band als Person kaum handelt, sondern eher als Auslöser für die Geschichte seiner Kinder fungiert. Die Geschichte ist in ungewöhnlicher Sprache, aber sehr fesselnd erzählt. Schon das karge Leben in Neufundland erscheint uns deutschen Lesern sehr exotisch, dazu passt die irgendwie karge Erzählweise. Morrissey hat es nicht nötig ausdrücklich zu schreiben, dass Sylvie Angst hat. Ihr gelingt es mühelos, das durch das Verhalten ihrer Ich-Erzählerin deutlich zu machen. Selbst Sylvies Gedanken scheinen Gefühle zu meiden.

Undurchschaubar

Leider wird das in meinen Augen auch zu einem Nachteil des Romans: die Figuren bleiben relativ blass und undurchschaubar. Zwar kämpft Sylvie mit den Erinnerungen an ihre lieblose Mutter und streitet mit ihr, doch Gefühle kommen trotzdem nicht wirklich zum Ausdruck. Das Verständnis für ihre Mutter kommt nach einem Streit überraschend, nur teilweise nachvollziehbar für den Leser. Sylvies Liebe zu Ben besteht seit Jahren, hat aber nur selten echte Hoffnung gehabt, lange haben sie sich gar nicht gesehen. Trotzdem hält Sylvie sich (stur?) an ihr fest.

Kargheit

Vielleicht ist es dieses Festhalten an Menschen und Dingen, die sich nicht festhalten lassen, das Sylvies Familie beherrscht. Und vermutlich die gesamte Umgebung der Familie, in der die Menschen nicht länger vom Fischfang leben konnten, aber trotzdem ihr gewohntes Leben fortführten, solange es irgend möglich war. In diesem kargen Leben ist kein Platz für Fantasie und Gefühle, die Realität ist hart. Daran haben sich die Menschen angepasst und diese seelische Kargheit vermittelt Morrissey in ihrem Roman ausgezeichnet. Als deutscher Leser muss man sich darauf einlassen können, übliche Erwartungen an Unterhaltung und Miterleben erfüllt Morrissey nicht.

Donna Morrissey. Leuchtfeuer. München: dtv, 2012. | What They Wanted. Penguin Canada, 2008.

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