Duve, Karin. 2018. Fräulein Nettes kurzer Sommer
Deutschland, Literatur

Karen Duve. Fräulein Nettes kurzer Sommer (2018)

Karen Duve hat hier einen wunderbaren historischen Roman über Annette von Droste-Hülshoff und ihre Zeit geschrieben. Sehr klug, sehr behutsam, mit sehr viel Atmosphäre und einer Sprache, die all das angemessen transportiert. Hervorragende Lektüre nicht nur für Fans historischer Romane!

Vor rund 200 Jahren (1797-1848) lebte die Schriftstellerin Annette von Droste-Hülshoff, die heute vor allem für ihre Novelle Die Judenbuche (erschienen erstmals 1842) noch bekannt ist. Karen Duve hat sich in ihrem Roman auf die Jahre der jungen Erwachsenen konzentriert, 1817 bis 1821. In dieser Phase wird besonders deutlich, wodurch sich „Fräulein Nette“ so sehr von anderen jungen Frauen ihrer Zeit unterschied.

Freifräulein Anfang des 19. Jahrhunderts

Bescheidenheit, Demut und Haus- und Handarbeiten sollten den Lebensinhalt junger Frauen ausmachen, natürlich mit dem Ziel einer standesgemäßen Heirat. Doch von all dem will Annette nichts wissen, sie interessiert sich für Dichtung und Wissenschaft, will gerne bei den Männern mitreden, bei denen es um wirklich Wichtiges geht. Und Nette verkneift sich diesen Wunsch nicht damenhaft, sondern redet frei heraus – sehr zum Missfallen ihrer Familie. Auch ihr noch recht junger Onkel August, ein Student, der ihr vorlautes Wesen als kleines Mädchen noch niedlich fand, ist zunehmend peinlich berührt und mehr und mehr bestrebt, Nette spüren zu lassen, wie unmöglich sie sich benimmt. Auch ihre frühen Gedichte hatte er noch gelobt, doch was für ein Kind vielleicht noch möglich ist, ist es für ein junges Freifräulein definitiv nicht mehr.

Dichterin mit Schuldgefühlen

Annette scheint eine intelligente und empfindsame Künstlernatur gewesen zu sein, das Schreiben erfüllt sie mit Sinn und sie kann es genauso wenig sein lassen wie die Fragen und Bemerkungen, die ihre Familie so unpassend findet. Dabei ist sie sich durchaus bewusst, dass sie sich nicht richtig benimmt, Schuldgefühle plagen sie, eine echte Rebellin ist sie nicht.

Unmögliche Liebe

Das junge Freifräulein verbringt viel Zeit bei ihren Großeltern Haxthausen, ihre dortigen Onkel und Tanten sind teilweise im selben Alter wie sie. Besonders Student August spielt eine wichtige Rolle im Roman, schließlich ist er es, der seinen Protegé, den bürgerlichen und mittellosen Heinrich Straube mitbringt. Auch er ein Außenseiter, wenn auch durchaus beliebt in der Familie. Nach und nach entdecken Straube und Nette einige Gemeinsamkeiten und eine Art von Liebe, wenn auch natürlich eine Ehe nie infrage kommt. Durch eine gemeine Intrige werden die beiden getrennt, sehen sich nie wieder. Und Fräulein Nette findet nie wieder jemanden, der sie versteht und so liebt, wie sie tatsächlich ist …

Wunderbarer Roman

Karen Duve erzählt die Liebesgeschichte von Fräulein Nette einfach wunderbar, sehr behutsam und ohne Pathos, eingebettet in viele Szenen, die ein Bild der damaligen Zeit vermitteln, wozu auch die Sprache hervorragend passt. Dabei schafft sie es, Bilder voller Atmosphäre zu zeichnen und in der Leserin so Verständnis für die Gepflogenheiten zu wecken, in denen Annette und ihre Zeitgenossen gefangen sind. Die Figuren bleiben aber nicht nur ihrem Zeitgeist verpflichtet, sondern tragen durchaus individuelle Züge. Dass man als Leser ganz nebenbei auch noch der Familie Grimm und Heinrich Heine begegnet, ist ebenfalls ein Plus. Auch wenn natürlich die dichterische Freiheit viele Details gezeichnet haben wird, hat sich die Autorin um Authentizität bemüht, der dankbare Leser merkt es bei der Lektüre.

Fräulein Nettes kurzer Sommer ist kein klassischer historischer Roman – sondern viel, viel besser! Durchaus als Schmöker spannend zu lesen, aber mit mehr Tiefe und Substanz. Ich kann diesen wunderbaren Roman nur weiterempfehlen!

Duve, Karin. 2018. Fräulein Nettes kurzer Sommer

Karen Duve. Fräulein Nettes kurzer Sommer. Berlin: Galiani, 2018.

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