Deutschland, Literatur

Regina Scheer. Gott wohnt im Wedding (2019)

Ein Haus erzählt von seinem bewegten Leben im Berliner Stadtteil Wedding, traditionell einem eher armen Arbeiterviertel. Glücklicherweise lässt Autorin Regina Scheer auch Menschen zu Wort kommen: Leo, Gertrud und Laila vor allem. Sie sind – auf jeweils unterschiedliche Weise – mit dem Haus und seiner Geschichte verbunden, sie füllen das Haus mit Leben und auch diesen Roman.

In der Utrechter Straße liegt das Haus, das mit 120 Jahren seinem Abriss entgegensieht. Das Haus erzählt in kurzen Zwischenkapiteln von seiner Erbauung, von Wohnungszusammenlegungen und -teilungen entsprechend dem herrschenden Zeitgeist, von der Art seiner Bewohner und woran ein Haus erkennt, dass es mit ihm bald zu Ende geht. Diese Perspektive erlaubt Autorin Regina Scheer über die Wahrnehmung der einzelnen Personen hinaus, Zusammenhänge herzustellen und eine weitere Perspektive einzunehmen – leider wirkt das erzählende Haus altmodisch märchenhaft.

Entmietung

Zu welchen Tricks die – dank vieler Besitzwechsel – unbekannten Vermieter greifen, um die Mieter zur Kündigung zu bewegen, weiß allerdings nicht nur das Haus, sondern auch die aktuellen Mieter, zu denen Gertrud Romberg gehört. Sie wurde in diesem Haus geboren, hat nie woanders gelebt, hat miterlebt, wie immer mehr Ausländer, Migranten, Wanderarbeiter etc. in das Haus einzogen. Auch wie diese teilweise von windigen Strohmännern ausgenommen werden. Gertrud Romberg will nicht mehr ausziehen, sie ist alt, kann das Haus längst nicht mehr verlassen, aber wird von ihren Nachbarn gemeinsam versorgt. Auch mit den neuen Hausbewohnern, die sie wohl eigentlich aus dem Haus treiben sollten, hat sie sich angefreundet.

Judenverfolgung

Auch Juden wohnten immer mal wieder im Haus, das war nichts besonderes. Bis zur Nazizeit. Gertrud Romberg hat damals gelegentlich zwei Juden bei sich übernachten lassen, die sich als „U-Boote“ in Berlin versteckten, Manfred und Leo. In Manfred verliebte sie sich, doch er wurde entdeckt und erschossen. Leo gelang die Flucht, ein paar Jahre später ging er nach Israel. Heute kommt Leo Lehmann mit seiner Enkelin Nira zurück, um Erbschaftsangelegenheiten seiner verstorbenen Frau zu klären. Nebenbei hat er viel Zeit, durch sein altes Viertel zu streifen und Erinnerungen lebendig werden zu lassen.

Deutsche Sinti

Auch Zigeuner – Sinti oder Roma – haben immer wieder im Haus gewohnt, so wie jetzt Laila. Sie kam als junges Mädchen aus Polen nach Berlin, ihre Familie war bereits vor Jahren zwangsweise sesshaft geworden. Laila hat studiert, kennt sich aus mit Behörden und hilft ihren Nachbarn, wo sie nur kann, begleitet sie zum Arbeitsamt oder findet eine Stiftung, die der begabten Tochter einer Sinti-Familie eine Schulbildung ermöglicht. Dabei wollte Laila nach ihrer gescheiterten Ehe nicht mehr in einem sozialen Beruf arbeiten, jetzt führt sie den Blumenladen ihrer Mutter. Der liegt gleich neben Leo Lehmanns Stammcafé, sodass sich die beiden zwangsläufig kennenlernen.

Detailfülle, konventionell erzählt

Regina Scheer beleuchtet v.a. diese drei Themenbereiche sehr ausführlich, den Umgang mit Juden, Sinti und Mietern, heute und im Laufe des letzten Jahrhunderts. Als Beispiele erzählen Leo, Laila und Gertrud aus ihrer jeweiligen Perspektive aus ihrem Leben – das ergibt ein Netz aus vielfältigen Erzähllinien, einen bunten Kosmos rund um das Haus im Wedding. Das ergibt aber auch eine übergroße Fülle an Informationen und Details, die dann teilweise nur noch angerissen werden können. Wer ein Füllhorn an Geschichten und Lebensläufen mag und sich auch mit politischen und sozialen Aspekten von recht machtlosen Minderheiten befassen mag, der ist in diesem Buch vermutlich gut aufgehoben. Auch Menschliches kommt keineswegs zu kurz in den historischen Zusammenhängen. Leider ist Scheers Sprache eher konventionell, das mag literarischen Ansprüchen vielleicht nicht unbedingt genügen, macht aber den Roman für jeden Leser leicht zugänglich.

Regina Scheer. Gott wohnt im Wedding. München: Penguin, 2019.

Vielen Dank für das Rezensionsexemplar!

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