Dänemark

Tove Ditlevsen. Kindheit (1967/2021)

Bereits 1967 geschrieben, aber erst jetzt auf Deutsch erschienen. Ein schmales Buch, das extrem gehypt wurde und scheinbar heute begeistern kann, mehr als 50 Jahre nach seiner Entstehung. Warum? Bericht einer Kindheit in authentischen Bildern, die die Autorin mit wenigen Worten gekonnt entwirft.

Autobiografisch erzählt die dänische Autorin Tove Ditlevsen in diesem ersten von drei Bänden von ihrer Kindheit. Sie wurde in den 1920er-Jahren in eine Familie im ärmeren Teil von Kopenhagen geboren. Der Vater ein Sozialist, der immerhin ein Buch besaß und anfangs auch las, die Mutter Hausfrau und schwankend zwischen unnahbar und unberechenbar. Als der Vater seine Arbeit als Heizer verliert, wird das Geld knapp und Hunger ein ständiger Begleiter. Doch Selbstmitleid ist nicht Toves Sache.

Die Fremde

Wenn ein Thema Toves Kindheit bestimmt, dann das Gefühl von Fremdheit, in ihrer Kindheit, in ihrer Familie. Die Kindheit passe nicht zu ihr – was nicht heißt, dass sie sich eine andere gewünscht hätte. Aber vielleicht eine, in der Bücher erlaubt wären, in der Worte geschätzt würden, in der sie ihre kleinen Versuche in Poesie nicht vor der Familie hätte verstecken müssen. Als Toves älterer Bruder ihre Gedichte liest, lacht er sie aus – für Tove nicht das Zeichen aufzuhören, sondern nur, sie besser vor der Familie zu verstecken. Eine Mittelschule darf sie immerhin besuchen, doch danach ist Schluss, das Gymnasium kommt gar nicht infrage, trotz der Empfehlung der Lehrer.

Schicksal

Aus der anfänglichen Geborgenheit in der Familie wird für Tove schnell eine Art Gefängnis, ein Sarg sogar. Auch wenn ihr Vater für sie Bücher besorgt, dass sie sich mit fünf selber das Lesen und Schreiben beibringt, macht sie nur zur Außenseiterin. Für ein Mädchen ist nur die Ehe vorgesehen, so wollen es auch ihre Eltern, auch wenn Tove bereits beobachtet, dass es durchaus Lehrerinnen gibt. Auch die Bibliothekarin ist eine Frau …

Eindringlich

Ditlevsen berichtet von ihrer Kindheit in einem eher sachlichen Ton, konstatiert die Fakten – so wie sie sich für das Mädchen darstellten. Die Unsicherheit der Mutter gegenüber, die Schläge, da ist kein Selbstmitleid, kein Jammern, sie kannte es ja nicht anders. Und ihre Liebe zu Worten war genauso real, zwar verborgen vor den Eltern, aber nie in Zweifel gezogen. Das alles wirkt sehr intensiv und trotz der beinahe kargen Sprache eindringlich. Und dazu – das muss heute sagen – auch schon exotisch und wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten.

Für sich genommen bleibt dieser Band unabgeschlossen, noch hat sich die Schriftstellerin nicht aus den vorgegebenen Bahnen befreit. Immerhin ist schon klar, dass sie es auf jeden Fall schaffen wir.

Tove Ditlevsen. Kindheit. Berlin: Aufbau, 2021. | Barndom. Kopenhagen, 1967. Aus dem Dänischen von Ursel Allenstein.

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