Afrika, Deutschland, Schweiz, USA

Nora Bossong. Schutzzone (2019)

Mira Weidner arbeitet für die Vereinten Nationen in Genf, sie führt Verhandlungen, schreibt Berichte – und Nora Bossong berichtet dem Leser von Miras Zweifeln am Sinn ihrer Arbeit, von ihrer unmöglichen Liebe zu Milan, von ihrer Einsamkeit und Zerissenheit.

Schutzzone ist bestimmt kein einfach zu lesendes Buch, aber doch ein höchst faszinierendes. Autorin Nora Bossongs Sprache folgt den zerfetzten Gedanken Miras, das ergibt häufig lange Sätze, Wiederholungen, Assoziationen und Grübeleien, aber selten einen konkreten Handlungsablauf. Nur einzelne eher kurze Szenen werden dargestellt, selten in einem Zusammenhang und auf keinen Fall in einem chronologischen.

Sprunghaft

Miras Geschichte springt hin und her durch verschiedene Stationen ihrers Lebens: New York und Genf, Bujumbura und Burundi – und immer wieder in einen Sommer ihrer Kindheit. Während der Trennung der Eltern verbrachte die neunjährige Mira einige Monate bei faszinierenden Freunden ihrers Vaters, dem Diplomaten Darius, seiner Frau Lucia und dem Sohn Milan. Fast zehn Jahre älter hatte er wenig Interesse für das kleine Mädchen. Doch als sich die beiden in Genf wiederbegegnen, hat sich das geändert.

Liebe

Während Mira sich erinnert, wie Milan schon damals einen besonderen Platz in ihrem Leben eingenommen hat, und sich in ihrer Hoffnung auf eine Liebe verliert, sucht Milan scheinbar nur etwas Abwechslung im langweiligen Genfer Alltag. Mit Frau und Sohn zieht er nach Den Haag, für ihn war Mira nur eine nette Affäre und sie bleibt zurück in ihrer Einsamkeit und mit ihren Erinnerungen.

Völkermord und Idealismus

Auch die große Politik und die Arbeit der Vereinten Nationen kommen bei Mira nicht besonders gut weg, viele Zweifel am Sinn, an der Gerechtigkeit oder der Überlegenheit begleiten sie. Die Kollegen haben längst jeden Idealismus verloren, zynisch diskutiert man das eigene Gutmenschentum an der Bar im Hochsicherheitscamp in einem Kriesengebiet. Kann man wirklich irgendjemandem helfen? Irgendetwas besser machen? Der nächste Genozid kommt doch sowieso, in einem anderen Land oder in einem anderen Kontinent.

Scheitern und Weitermachen

Zusammen mit dem Scheitern der Liebe zu Milan kommt auch das Scheitern der Verhandlungen um Zypern und Zweifel an Miras Integrität, was ihre Zeit in Afrika angeht – Gründe genug für sie, ihren Posten zur Verfügung zu stellen. Doch davon will ihr Chef nichts wissen, das ist alles nicht wichtig, er schätzt vor allem Miras Fähigkeit, die Menschen zum Reden zu bringen. Und so bleibt Mira in ihrem so sehr von Zweifeln, Zerissenheit und Einsamkeit geprägten Alltag – nur demnächt in einem anderen Land.

Faszination

Schutzzone ist ein extrem faszinierender Roman, auf dessen besondere Art man sich einlassen muss. Hier wird keine schlichte Geschichte in einprägsamen Bildern erzählt, hier wird angedeutet, assoziiert, bewertet, hier wird eine innere Geschichte erzählt, auf die die äußeren Gegebenheiten natürlich Einfluss haben, aber außen bleibt eben außen. Die Sprache dazu mäandert durch Miras Geist, häufig poetisch, philosophisch, sie verlässt die Oberflächlichkeiten des Äußeren, streift sie nur selten am Rande. Die Kombination dieser sehr persönlichen Sicht auf die Dinge mit grausamen politischen Ereignissen bietet einen großen Kontrast, ein Spannungsfeld, dessen sich Mira durchaus bewusst ist und an dem sie eines Tages zerbrechen wird. Wenn die Zweifel größer werden als das Pflichtbewusstsein.

Meiner Ansicht nach steht der Roman völlig zu Recht auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2019. Warum er es nicht auf die Shortlist geschafft hat, könnte ich höchstens mutmaßen, wenn ich auch alle anderen Longlist-Romane gelesen hätte …

Nora Bossong. Schutzzone. Frankfurt: Suhrkamp, 2019.

Vielen Dank für das Rezensionsexemplar via NetgalleyDE!

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