Lieblingsbücher, Literatur, USA

Anna Quindlen. Ein Jahr auf dem Land (2015)

Die große Zeit der New Yorker Fotografin Rebecca Winter ist schon paar Jahre vorbei. Mit 60 fließt das Geld nicht mehr von alleine, die Ausgaben aber steigen. Und so findet sich Rebecca in einem herunter gekommenen Cottage auf dem Lande wieder, voller Ängste und Skepsis, aber mit der Hoffnung, dass ein Jahr auf dem Land ihre Finanzen sanieren wird, sodass sie nach New York zurückkehren kann.

Der Schuss, der Rebecca eines Nachts weckt und mit dem der Roman beginnt, ist gar kein Schuss, sondern das Zuschnappen der Falle auf dem Dachboden, mit der dem Waschbären der Garaus gemacht werden soll. Vieles in dem alten Cottage ist kaputt, dreckig, abstoßend – aber Rebecca sieht keine andere Möglichkeit finanziell zu überleben: sie hat ihre Wohnung in New York teuer vermietet und ist dafür in das viel billigere Cottage gezogen.

Geldsorgen

Zu ihren Belastungen gehören die Heim-Kosten für ihre Mutter, die Wohnungsmiete für ihren Vater, Unterstützung für ihren Sohn Ben. Psychisch sind die Probleme eigentlich noch größer. Ihre Eltern so alt, krank und hilflos zu sehen, schmerzt sie, ihr eigenes Versagen als Künstlerin, als Ehefrau wagt sie kaum zu überdenken. Ihre Ehe, längst geschieden, war ein kompletter Reinfall. Das zufällig entstandene Foto “Still Life With Bread Crumbs” (auch der Titel der amerikanischen Originalausgabe) zeigte eigentlich symbolisch den desolaten Zustand ihrer Ehe, doch die Kunstwelt hatte ihre eigenen Interpretationen. Sie liebte das Foto und zahlreiche Reproduktionen sorgten lange Zeit für ein sicheres Einkommen. Seit dieses Einkommen langsam versiegt, Rebeccas Ausgaben aber immer weiter steigen, macht sie sich Sorgen um das Geld, um das Alter, um ihre Kunst.

Neue Faszination

Der Wohnungswechsel soll Geld sparen, außerdem hofft Rebecca, mit neuen Fotos wieder Aufnahme in den Kunstbetrieb zu finden und Geld zu verdienen. So richtig planvoll geht sie dabei nicht vor. Das Cottage lässt sie reparieren, damit es für sie als verwöhnte New Yorkerin erträglich wird. Sie unternimmt jeden Tag lange Wanderungen mit ihrer Kamera, auf der Suche nach Ablenkung genauso wie auf der Suche nach Fotomotiven. Sie findet beides, merkwürdige kleine Holzkreuze mit Erinnerungsstücken, rätselhaft und sehr fotogen.

Landmenschen

In dem kleinen Ort lernt sie natürlich auch neue Menschen kennen: Sarah, die Besitzerin des lokalen Cafés – geschwätzig, aber mit dem Herz am rechten Fleck, Tad, der lokale Clown – als Sänger eine gescheiterte Existenz, aber mit dem Herz am rechten Fleck, Jim Bates – Dachdecker, Seele der Gemeinde und erst recht mit dem Herz am rechten Fleck. Besonders Jim wird wichtig für Rebecca, erst für die Beseitigung des Waschbärs und anderer Mängel des Cottages, dann in Geldangelegenheit, als beide gemeinsam für eine Naturschutzorganisation Vögel beobachten und fotografieren, und letztlich auch in Sachen Liebe. Denn Jims Herz ist so groß, dass er nicht einmal darüber nachdenkt, dass Rebecca 16 Jahre älter ist als er.

Happy End

Ganz klassisch müssen auch Jim und Rebecca erst noch ein paar Missverständnisse aus dem Weg zum Happy End räumen. Die Fotos der Holzkreuze und die des Hundes, der eines Tages einfach vor der Tür steht und bleibt, sorgen für neuen Erfolg, auch finanziell, trotzdem bleibt es erwartungsgemäß nicht bei dem einem Jahr auf dem Land für Rebecca.

Erwartungen erfüllt

Vieles im Roman Ein Jahr auf dem Land verläuft erwartungsgemäß oder bedient gängige Klischees: natürlich lernt Rebecca das Landleben schätzen, weil es so viel menschlicher zugeht; natürlich kommt sie finanziell wieder auf die Beine, künstlerisch erst recht und natürlich findet sie eine neue Liebe zu dem Naturburschen / Handwerker … natürlich kommt alles ganz zufällig zu ihr, ohne dass sie einen konkreten Plan verfolgt. “Ziehe aufs Land und das Leben meint es wieder gut mit dir” – aber das wäre eine zu zynische Moral des Romans, die bestimmt nicht beabsichtigt ist.

Wunderbar erzählt

Was den Roman trotz Klischees und vorhersehbarer Handlung so gut macht, ist die Erzählweise, die Sprache. Die Geschichte ist einfach hervorragend und originell erzählt, in einer klaren (dem Bild des Landlebens im Roman entsprechenden) Sprache, recht sachlich und gut beobachtend, teilweise in eigenwilligen Ausschnitten und Bruchstücken, selten in kurzen Zusammenfassungen, kleinen Rückblicken. Der Leser folgt Rebecca, erhält Einblicke in ihre Gedanken, weniger in ihre Gefühle, die die Protagonistin selber lieber gar nicht zur Kenntnis nimmt.

Faszinierende Frauenfigur

Mit Rebecca ist der Autorin darüber hinaus eine sehr interessante Frauenfigur gelungen. Besonders am Anfang, als sie spröde und leicht zynisch mit sich selber und ihren Sorgen kämpft, aber fest entschlossen ist, eine Wende in ihrem Leben zu schaffen, auch wenn ihr Plan recht vage ist. Ihre magische Wandlung durch das Landleben (oder durch die Liebe? durch den Hund? durch die Angst vor dem Altwerden?) hin zu einer glücklichen Frau und Künstlerin bleibt eher vages Nachwort. Denn “das kam später.”

Anna Quindlen. Ein Jahr auf dem Land. München: DVA, 2015. | Still Life With Bread Crumbs. New York: Random House, 2014. Übersetzung Tanja Handels.

Vielen Dank für das Rezensionsexemplar!

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