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Anne Tyler. Clock Dance (2018)

In Clock Dance (auf Deutsch erschienen als Die Launen der Zeit) erzählt Anne Tyler die Geschichte von Willa Drake. Tylers 22. Roman ist eine einfache Geschichte, keine dramatischen Ereignisse, nicht unglücklich, Willa führt ein ganz normales Frauenleben.

Kind, Jugendliche, Erwachsene – drei Schlüsselmomente, die Willas Leben bestimmen und ihren Charakter zeigen: Als Kind erlebt sie zwei Tage Angst und Unsicherheit, als ihre Mutter verschwindet. Unter den Wutausbrüchen der Mutter haben auch die Kinder zu leiden, trotzdem hat Willa ein schlechtes Gewissen, wenn sie sich ganz heimlich vorstellt, die Mutter käme vielleicht nicht wieder. Das Leben mit ihrem sanften Vater wäre wohl angenehmer. Aber dann ist die Mutter zurück und alles geht weiter wie vorher.

College-Studentin

Als Jugendliche fliegt Willa vom College nach Hause, um ihren Eltern ihren Freund Derek vorzustellen. Der Kalifornier macht ihr unterwegs einen Heiratsantrag, möchte bald heiraten, denn er ist mit dem College so gut wie fertig und hat schon einen Job in Aussicht. Dass Willa eigentlich erst selber ihr College-Studium beenden will, lässt er nicht wirklich gelten. Willas Eltern geben sich sehr viel Mühe mit dem Besuch, stellt Willa fest – warum eigentlich?

Witwe

Mit Anfang 40 dann verliert Willa ihren Mann Derek bei einem Autounfall, den er in einem Wutanfall selbst provoziert hat. Willa trauert; dass ihr Vater ein paar Tage bei ihr ist, scheint ihr zu helfen. Jetzt könnte sie doch endlich ihr Studium zu Ende machen und dann doch noch unterrichten …

Rentnerin?

Mit Anfang 60 findet Willa sich in Tuscon wieder, ihr zweiter Mann Peter möchte dort sein Rentnerdasein beim Golfspielen genießen. Willa hat dafür ihre Arbeit an einer Schule aufgegeben, die ihr sehr viel bedeutet hat, im neuen Wohnort aber nichts Vergleichbares gefunden. Golfspielen langweilt sie, sie ist noch nicht im Rentnermodus.

Baltimore

Als eine Unbekannte anruft und erzählt, dass Willas Schwiegertochter angeschossen wurde und sie sich um ihre Enkelin kümmern solle, beschließt Willa aus einer Laune heraus, dies tatsächlich zu tun. Obwohl es sich bei Denise nur um eine Ex-Freundin ihres Sohnes handelt und Denises Tochter Cheryl mit ihr gar nicht verwandt ist. Zähneknirschend begleitet ihr Mann Peter sie nach Baltimore, wo Willa eine bezaubernde Cheryl kennenlernt, wo Willa sich nützlich machen kann, wo sie die exzentrischen, aber herzlichen Nachbarn von Denise kennenlernt … Als Peter alleine abreist, bleibt Willa gerne noch etwas länger …

Ein typisches Frauenleben

Anne Tyler erzählt Willas Geschichte in diesen Ausschnitten relativ schlicht und einfach. Keine weltbewegenden Ereignisse, Enthüllungen oder Erkenntnisse, weder von noch über Willa. Und dem Leser erschließt sich erst im Nachhinein, was die ersten Szenen nur andeuteten: Es waren Chancen zur Freiheit, die Willa nicht ergriffen hat. Obwohl sie andere Vorstellungen hatte, obwohl sie die Fehler der anderen (Mutter, Freund) gesehen hat, hat sie den Weg eingeschlagen, den jemand anderer für sie ausgesucht hat. Bis nach Tuscon.

Es ist nie zu spät

Erst mit 61 Jahren, in Baltimore, bei einer Ex-Freundin ihres Sohnes, erkennt Willa, was ihr in ihrem Leben fehlt und dass sie es sich nehmen muss. Willa will gebraucht werden – ein typisches Frauenschicksal? Vielleicht. Aber es tut gut zu lesen, dass es nie zu spät ist, selbst über sein Leben zu bestimmen. Dazu braucht es keine Dramatik oder einen großen Knall. Niemand ist verpflichtet, den vorgezeichneten Weg bis zum Ende zu trotten, wenn er doch noch ein paar Wünsche entdeckt. Und seien es nur die, endlich mal allein zu wohnen und selber zu entscheiden, wo und wie und um wen man sich kümmern will.

Meisterhaft subtil erzählter Alltag

Auch bei diesem Roman ging es mir wie bei vielen von Anne Tyler: Was sie erzählt, scheint beinahe banal, Alltagsereignisse eigentlich. Das ist zwar sehr gut zu lesen, aber zwischendurch frage ich mich, warum Tyler gerade das und das gerade so erzählt. Doch im Nachhinein zeigt sich, dass gerade in dieser Schlichtheit ihre Meisterschaft liegt, denn der Stoff, die Menschen beschäftigen mich noch eine Weile, wirken nach und offenbaren vielfach erst dann, wie subtil Tyler Gefühle und Stimmungen vermittelt.

Anne Tyler. Clock Dance. ??: Chatto, 2018. | Launen der Zeit. Zürich: Kein und Aber, 2018.

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