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Annemarie Selinko. Désirée (1951)

Bezaubernder historischer Roman in Tagebuchform: Die Tochter des Marseiller Seidenhändlers Clary berichtet aus ihrem Alltag um 1800 – zu diesem Alltag gehören allerdings Napoleon und später die schwedische Königinnenkrone.

Gerade habe ich diesen Roman wieder gelesen – zum wie vielten Mal kann ich leider nicht sagen. Dieses Buch hat für mich persönlich eine große Bedeutung, die ich ausnahmsweise hier mal nicht ausschließen will. Es gehört zu den Büchern, die mein Leben beeinflusst haben. Eine zerfledderte Ausgabe steht jetzt in meinem Regal, früher zierte sie mit ihrem blauen Lederrücken das Wohnzimmer meiner Eltern.

Tagebuchform

Désirée beginnt kurz nach ihrem 14. Geburtstag Tagebuch zu führen, als sie in Marseille Joseph Bonaparte kennenlernt und beschließt, dass er unbedingt ihre ältere Schwester Julie heiraten muss. Joseph bringt seinen kleinen Bruder, den General, mit zu den Clarys: Napoleon. In ihn verliebt sich Désirée mit aller Schwärmerei der ersten Liebe – und aller Keuschheit der 1950er-Jahre, in denen der Roman erstmals erschienen ist.

Handlung

Wie die Geschichte weitergeht, wissen wir: Napoleon macht Karriere bis hin zum Kaiser und heiratet nicht Désirée, sondern Joséphine de Beauharnais. Désirée wird die Ehefrau von Jean-Baptiste Bernadotte, General und später Marschall Napoleons, bis er vom schwedischen Reichstag als nächster König gewählt wird. Lange Jahre noch bleibt Désirée alleine in Paris, bevor sie schließlich zu Mann und Sohn nach Stockholm zieht. In diesen Jahren verfolgt sie das Schicksal Napoleons aus nächster Nähe, dank der Ehe ihrer Schwester Julie mit einem der Brüder Napoleons.

Historische Grundlage

Der Roman folgt wohl im Groben den historischen Fakten, aber natürlich geht es nicht ohne Interpretationen und Ausschmückungen im privaten Bereich. Irgendwo habe ich mal gelesen, die echte Désirée soll bei Weitem nicht so sympathisch gewesen sein wie die des Romans. Von einer Affäre mit einem ihrer Adjutanten oder gar mit Napoleon ist im Roman natürlich keine Rede, geschuldet vielleicht auch seiner Entstehungszeit Ende der 1940er-Jahre.

Lebendige Geschichte

Als ich den Roman zum ersten Mal gelesen habe, vermutlich in unendlich langen und heißen Sommerferien, muss ich etwa so alt gewesen sein wie Désirée am Anfang ihres Tagebuches. Und für mich stimmte der Ton sofort, ein klein wenig altmodisch, aber sommerlich leicht und mit ein wenig jugendlich-naivem Überschwang. Ich konnte das Buch nicht mehr aus der Hand legen, bin eingetaucht in die Zeit Napoleons, die Annemarie Selinko so lebendig werden lässt durch gelegentliche Anmerkungen zu Kleidung oder Umgangsformen, zur hungernden Bevölkerung, mit historischem Personal, das durch seinen Auftritt herrlich charakterisiert wird.

Zeugnis der 1950er-Jahre

Für heutige Leser ist der Ton vermutlich viel zu brav, alle Skandale wurden ausgelassen, höchstens kleine Andeutungen zu Gerüchten gibt es. Wenn ich den Roman heute lese, tauche ich natürlich gleichzeitig in meine eigenen Erinnerungen ein: Désirée hat meine Liebe zum historischen Roman geweckt, mein Interesse für die Zeit Napoleons bis hin zum Studium der Geschichte (als Nebenfach zur Literatur). Allerdings hat es kein anderer historischer Roman je wieder geschafft, mich so sehr zu faszinieren … Ein Roman also, der mich und tatsächlich mein Leben beeinflusst hat – weswegen auch die zerfledderte Ausgabe einen besonderen Platz in meinem Bücherregal behalten wird.

Die Autorin Annemarie Selinko wurde 1914 in Wien geboren, studierte Sprachen und Geschichte. Sie heiratete einen Dänen und starb 1986 in Kopenhagen. Ihr Roman Désirée wurde ein internationaler Erfolg, lt. Verlag übersetzt in mehr als 25 Sprachen und in einer Gesamtauflage von über 2,8 Millionen Exemplaren verbeitet. Auch die Verfilmung von 1954 war ein großer Erfolg.

Annemarie Selinko. Désirée. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1951.

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