Deutschland

Annette Hess. Deutsches Haus (2018)

Eine junge Frau arbeitet Anfang der 60er-Jahre als Übersetzerin für Polnisch in Frankfurt. Als ihre Agentur sie zu einer Befragung schickt, weiß sie noch nicht, dass diese der Auftakt zum ersten Auschwitz-Prozess ist. Doch sie ist interessiert und bietet an, auch beim Prozess zu übersetzen, obwohl ihre Familie sie abhalten möchte. Dabei lernt Eva Bruhns nicht nur viel Schreckliches über die jüngste deutsche Vergangenheit, sondern auch über ihre eigene Familie.

Eva Bruhns ist Anfang der 1960er-Jahre in ihren Zwanzigern, Übersetzerin für Polnisch in Frankfurt. Ihren Eltern gehört das Gasthaus „Deutsches Haus“, wie selbstverständlich hilft Eva dort gelegentlich aus. Die ältere Schwester Annemarie ist Krankenschwester, der kleine Bruder Stefan ein Nachzügler, einen Hund gibt es auch. Heile Welt der 60er.

Der Verlobte

Der angehende Verlobte von Eva, Jürgen Schoormann, ist reicher Erbe eines Versandhandels. Standesunterschiede sind beiden noch bewusst, sollen sich aber nicht zwischen sie stellen. Doch das tut die Vergangenheit: Jürgen will nicht, dass Eva bei den Prozessen übersetzt, und teilt das hinter ihrem Rücken dem Gericht mit. Noch haben Frauen so wenig zu sagen, dass sogar der Verlobte ihnen die Arbeit verbieten dürfte – da löst Eva lieber die Verlobung. Natürlich kämpft auch Jürgen mit seinem Kriegstrauma.

Der Prozess

Allerdings ist Eva mit dem, was sie im Laufe des Prozesses erfährt, vollauf beschäftigt. Die detaillierten Aussagen von Überlebenden machen die Gräuel von Ausschwitz für sie sehr lebendig, sie fühlt sich schuldig, würde gerne helfen, wiedergutmachen, wo nie wieder etwas gutzumachen ist. Eine Reise in das ehemalige Lager gibt den Aussagen einen realen Ort. Zusätzlich werden aber auch Erinnerungen in Eva wach, an Erlebnisse, die sie als sehr kleines Kind hatte – und sie muss sich der Frage stellen, welche Schuld ihre eigenen Eltern tragen. Und wie sie selber damit umgehen kann …

Deutsche Geschichte

Mit diesem Roman ist es Autorin Annette Hess gelungen, Auschwitz noch einmal zum Thema eines bewegenden Romans zu machen, Unterhaltung mit realem dramatischen Hintergrund. Sehr gut! Beim Lesen merkt man sehr, dass die Autorin sonst Drehbücher schreibt, die Szenen sind so klar und deutlich, dass man wie in einem Film alles sofort vor sich sieht. Allerdings bleibt auch wie in einem Film vieles an der Oberfläche. Man verfolgt als Leser Evas Handlungen, aber nur sehr wenig ihre Gedanken, Überlegungen, Gefühle. Eine Darstellungsmöglichkeit, die den Roman vom Film so wesentlich unterscheidet und auf die die Autorin weitgehend verzichtet hat. Das ist ein bisschen schade – aber als Unterhaltung funktioniert der Roman auch so sehr gut und findet hoffentlich viele Leser, die bereit sind, sich auf das Thema einzulassen. Ein Roman gegen das Vergessen. Danke.

Annette Hess. Deutsches Haus. Berlin: Ullstein, 2018.

Vielen Dank für das Rezensionsexemplar!

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