Literatur, Österreich, Roman

Doris Knecht. Die Nachricht (2021)

Nachrichten eines anonymen Stalkers belästigen die Witwe Ruth und nach und nach auch die Personen ihres Umfelds. Diese Nachrichten übermitteln ihr „Die Nachricht“: dass sie als Frau scheinbar das geborene Opfer ist. Und sie bleibt im Verlauf der Handlung nicht das einzige Opfer männlicher Gewalt.

Ruth lebt nach dem Tod ihres Mannes vor wenigen Jahren allein mit ihrem Sohn in dem Dorf, in dem ihr Mann Ludwig das gemeinsame Haus gebaut hatte. Sie arbeitet als Autorin von Drehbüchern, ist oft auch beruflich in Wien, kennt viele Leute, hat einige gute Freunde und ist durchaus internetaffin. Dass sie nach dem tödlichen Unfall ihres Mannes erfahren hat, dass er eine Affäre hatte, macht ihr allerdings immer noch ein wenig zu schaffen.

Angriff aus dem Hinterhalt

Das ändert sich, als sie den Psychologen Simon Brunner kennenlernt und beide so etwas wie eine Beziehung beginnen. Ruth denkt gerade daran, dass sie vielleicht doch noch mal mit einem Mann glücklich werden könnte, da kommen die ersten Nachrichten via Facebook-Messenger. Sie wird beschimpft und beleidigt, die Affäre ihres Mannes wird angesprochen. Anfangs kann sie die Nachrichten noch halbwegs ignorieren, immer kommen sie von Accounts, die danach sofort wieder gelöscht werden. Internet-Trolle sind ihr natürlich ein Begriff.

Die Erwartungen der anderen

Doch dabei bleibt es nicht. Auch ihre Freunde bekommen nach und nach diverse Nachrichten, sogar ihre Kinder und ihre Auftraggeber. Und die Nachrichten werden immer persönlicher, enthalten immer mehr Details aus Ruths Leben. Auch wenn sie eigentlich absolut selbstständig ist und mit beiden Beinen fest in der Realität steht, wächst Ruths Verunsicherung. Wer zieht einen Gewinn daraus, sie so zu beleidigen, sie überall schlecht zu machen? Und könnte sie selber es irgendwie abwenden? Sollte sie tatsächlich aus dem Dorf wegziehen, was ihre Nachbarn ihr mit Blicken und Bemerkungen zu verstehen geben? Hätte sie nichts mit Simon Brunner anfangen sollen? Wessen Erwartungen entspricht sie nicht mit ihrem Leben?

Die Rolle als Frau

Doris Knecht lässt ihre Protagonistin als Ich-Erzählerin selber berichten, wir erhalten also einen umfassenden Einblick in ihre Gedanken und Gefühle. Die laufen nicht Amok wegen einer Bedrohung, sondern bleiben sehr realistisch – und zeigen so umso eindringlicher die tiefe Verunsicherung Ruths. Die Nachrichten schaffen es schließlich, dass sie ihr eigenes Verhalten hinterfragt, weil dies ja der Stein des Anstoßes zu sein scheint … was ihr übrigens auch die eine Freundin/der andere Freund zu verstehen gibt. Als Frau hat man seine Rolle anständig zu spielen, als Witwe, als Autorin, die ein wenig in der Öffentlichkeit steht, als Mutter. Das ist „Die Nachricht“, die die Nachrichten Ruth – und uns Leserinnen – übermitteln.

Und kommt uns das nicht sehr bekannt vor? Als Mädchen mussten wir Erwartungen erfüllen, während die Jungs wild und eigensinnig sein durften. Sehr traurig, dass diese Einstellung doch immer noch in viel zu vielen Köpfen eingebrannt zu sein scheint.

Doris Knecht. Die Nachricht. Berlin: Hanser Verlag, 2021.

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