Australien, Literatur

Elizabeth Harrower. Die Träume der anderen (2019)

Die Schwestern Laura und Clare scheinen keine Chance zu haben, sich gegen die Wünsche ihrer Mutter und die Konventionen in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts zu wehren. Manipuliert, unterdrückt, ausgenutzt, verachtet – erst von der lieblosen Mutter, dann von Lauras Ehemann Felix. Nur Clare kann sich nicht arrangieren mit diesem Leben, das für sie keines ist.

Nach dem Tod des Vaters holt die Mutter ihre Töchter nach Hause. Sie müssen das Internat verlassen, das für sie bis dahin Heimat war, das Laura, der Älteren, als natürlicher Weg erschien zu einem Beruf als Ärztin. Die sieben Jahre jüngere Schwester Clare verlässt die Schule leichteren Herzens, sicher muss es gut sein, bei seiner Mutter zu leben? Auch wenn die Schwestern ihre Mutter eigentlich kaum kennen … In einer Vorstadt von Sidney lernen die beiden, dass ihrer Mutter dieses Leben eigentlich nicht zugemutet werden kann.

Die Wünsche der Mutter

Also kümmern sich die Mädchen um den gesamten Haushalt, die Einkäufe, das Frühstückstablett für die Mutter. Laura wird auf einem Berufskolleg angemeldet, muss Steno und Schreibmaschine lernen und den ersten, schlecht bezahlten Job annehmen, weil der Weg zur Arbeit nicht zu weit ist, um noch den Haushalt zu schaffen. Bis sie heirate, könne sie ruhig noch etwas Geld verdienen, argumentiert die Mutter ganz im Zeitgeist der 1940er-Jahre, doch wer sie heiraten solle, so wie sie aussehe, nun ja … Laura ist „vernünftig“, nimmt die Stelle in Mr. Shaws Schachtelmanufaktur an, damit ihre Schwester weiter zur Schule gehen kann.

Übergabe an Felix Shaw

Mitten im Zweiten Weltkrieg entschließt sich die Mutter, zu ihrem Bruder nach England zu gehen, ihre Töchter wolle sie in deren Heimat lassen. Da kommt ihr der Vorschlag von Lauras Chef, Felix Shaw, gerade recht: Er will Laura heiraten und auch für ihre Schwester Clare sorgen. Laura fügt sich, wenigstens Clare soll zur Schule gehen können, und so ziehen die Schwestern am selben Tag in das neue Haus ein, an dem die Mutter Australien verlässt. Allerdings: Entgegen aller vorherigen Zusagen will Felix jetzt, dass auch Clare das Berufskolleg besucht. Und er will, dass auch Clare brav zu Hause ist und zu seiner Unterhaltung beiträgt. Laura macht immer noch den ganzen Haushalt, arbeitet immer noch in der Manufaktur – nur jetzt auch noch am Abend und ohne Bezahlung. Das muss wohl so sein? Immerhin lebt sie in einem schönen Haus.

Clare

Lauras Gedanken und Gefühle verfolgt die Autorin da nur noch selten, längst steht Clare im Mittelpunkt der Geschichte. Sie kann sich nicht abfinden mit all den Lügen, der Heuchelei, der Verachtung und der Unterwerfung – denn Felix hat sich längst als unberechenbarer Tyrann erwiesen. Selber unsicher und schwach im Umgang mit anderen, hat er in den Schwestern seine Opfer gefunden, aus denen er ein Gefühl von Macht ziehen kann. Während Laura ihr Schicksal zu akzeptieren scheint, will Clare so nicht leben. Sie lernt, eine Fassade aufzubauen, zu tun, was erwartet wird – den Mitmenschen reicht das und sie selber bleibt unberührt.

Gefühle erklärt

Auch wenn dieser Roman seine Entstehung in den 1950er/60er-Jahren nicht verleugnen kann und in Laura das Ideal der braven Ehefrau dargestellt wird, will Clare mehr vom Leben, mehr Aufrichtigkeit, weniger Fassade. Eine vorsichtige (emanzipatorische) Entwicklung, eine Selbstverwirklichung. Das begleitet die Autorin mit vielen Erklärungen, die sie recht willkürlich verteilt, auch Tyrann Felix macht sich gelegentlich Gedanken und wird von der Autorin als Opfer gezeigt. Meistens allerdings wahrt die Autorin eine fast kühle Distanz, manche Darstellung gelingt ihr auf diese – nicht ausgesprochene – Weise sehr eindringlich. Wenn sie allerdings Gefühle mit vielen Worten erklärt … doch trotzdem ergibt sich vor dem Hintergrund seiner Entstehungszeit ein eindringlicher Roman über die Unterdrückung und Tyrannisierung zweier junger Frauen, dessen Faszination man sich nicht entziehen kann.

Elizabeth Harrower. Die Träume der anderen. Berlin: Aufbau Verlag, 2019. | The Watch Tower. London/Melbourne/Toronto: Macmillan, 1966.

Vielen Dank für das Rezensionsexemplar via NetGalleyDe!

Infos zu Autorin auf der Autorenseite Elizabeth Harrower.

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