Frankreich

Françoise Kerymer. Zwischen Himmel und Meer (2017)

Emma und ihr siebenjähriger Sohn Camille kommen auf die Île de Sein, wo sie zwei Monate bleiben müssen – so hat es ihr Ehemann Boris beschlossen. Für Emma scheint diese Verbannung unerträglich, zumal sie auch in ihrem hochintelligenten Sohn nur eine Belastung sieht. Camille freundet sich schnell mit der Insel, ihrer Natur und der Freiheit, die sie ermöglicht, an. Seine Mutter tut sich damit schwerer …

Die Île de Sein, vor der Küste der Bretagne, ist ein Vorposten weit draußen im Meer. Für Bretagne-Liebhaber ein Traumziel, für eine verwöhnte junge Pariserin, die noch dazu aus Nizza stammt, muss dieses Exil unerträglich scheinen: Viel, sehr viel Natur, das Meer bestimmt Wetter und Tagesabläufe, sorgt für eine hohe Luftfeuchtigkeit und durch die Abgeschiedenheit für die Eigenwilligkeit der Inselbewohner.

Camille findet Freunde

Viele Bewohner hat die Insel allerdings nicht, und noch weniger finden Eingang in diesen Roman. Armelle, die Wirtin des Insel-Restaurants, in dem Emma und Camille ihre Mahlzeiten einnehmen, freundet sich erst mit Camille an, hält dann aber auch ein wachsames Auge auf seine Mutter. In Louis-Camille, dem ehemaligen Dirigenten und jetzigen Komponisten, einem Außenseiter unter den Inselbewohnern, ahnt der junge Camille einen Seelenverwandten. Und auch wenn der Erwachsene in seiner eigenen Inselwelt umherwandert, lässt der Junge nicht locker und beide entdecken erstaunliche Parallelen in ihren Talenten und der Liebe zur Musik. Zum ersten Mal hat der Junge auf dieser Insel zwei Freunde, die mit ihm zurechtkommen, die ihn nicht sonderbar finden.

Emma leidet

Für Emma ist alles eine schlimme Herausforderung, alles überfordert sie, sie scheint in Depressionen festzustecken oder hat andere ernste Probleme – wieso hat ihr Mann sie auf dieses flache Stückchen Land „Zwischen Himmel und Meer“ verbannt? Ein Masseur scheint eine Rolle zu spielen … eine Affäre? Die Auflösung dieses Rätsels kommt erst gegen Ende des Romans. Bis dahin schleppt Emma sich durch die Tage, lustlos, verzweifelt, abgeschnitten von der Welt. Erst als sich Ronan Le Gall, der Kapitän des Fährbootes, um sie bemüht, scheint ein wenig Leben in die junge Frau zurückzukehren.

Wendepunkt

So wie nur wenige Personen im Roman eine Rolle spielen, ist auch die Handlung so karg wie die Insel. Camille liest alle Bücher, die in seinem Zimmer stehen, und weiß schnell sehr viel über die Insel, die er natürlich entdecken will. Vor allem aber hat es ihm der Sonderling Louis-Camille angetan, zunächst nur wegen des gleichen Vornamens, aber schnell wegen der Welt der Musik, die Louis-Camille auf wunderbare Weise in Einklang bringt mit der Insel. Daneben hilft Camille Armelle in ihrer Küche – und Emma schlägt die Zeit tot und ist froh, dass sie sich nicht mit ihrem schwierigen Sohn herumplagen muss. Die große Wende bringt ein Sturm, bei dem Camille alleine mit einem Boot auf dem Meer ist. Ronan rettet ihn heldenhaft und auf einmal ist Camilles Mutter bewusst, dass ihr Sohn keine Plage ist, sondern ein Geheimnis, das es zu entdecken gilt, wobei ihr Camilles neue Freunde natürlich helfen.

Happy End?

Nach zwei Monaten schickt sich Emma an, die Insel zu verlassen, mit viel Bedauern, aber wenn ihr Mann Boris es so angeordnet hat, muss sie natürlich folgen… Erst der Epilog offenbart, dass Emma nicht wirklich in ihr altes Leben zurückgekehrt ist, sondern sie auf der Insel zu einem neuen Selbstverständnis gefunden hat.

Poetischer Roman über den Himmel und das Meer

Wenige Personen, unspektakuläre Handlung – das lässt viel Platz für die Île de Sein, für die Natur, für das Meer und den Himmel, die Francoise Kerymer in einer wunderschönen poetischen Sprache lebendig werden lässt. Fast wirken Emma und Camille nur wie ein Vorwand, um von diesem verzauberten Flecken vor der Küste des Finistère zu schwärmen, aber wirklich nur fast. Doch es ist der Zauber der Insel, des Meeres, der für die Verwandlung der beiden sorgt, der ihnen ermöglicht, endlich frei zu sein. Und auch wenn sich das in meinen Worten kitschig anhört, ist es das im Roman keineswegs, selbst der dramatische Wendepunkt kommt in der Sprache Kerymers nicht als Klischee daher. Zwischen Himmel und Meer ist ein wunderbarer poetischer Roman über eine magische Insel und die Wirkung von so viel Himmel und Meer auf zwei zutiefst verunsicherte Menschen.

Françoise Kerymer wurde 1952 geboren und wurde, der Familientradition folgend, Buchhändlerin in Paris. Inzwischen widmet sie sich dem Schreiben, Trois éclats tout les vingt secondes ist ihr dritter Roman. Sie verbringt gemeinsam mit ihrem Mann auch viel Zeit in der Bretagne, wie man an diesem Roman unschwer erkennen kann.

Françoise Kerymer. Zwischen Himmel und Meer. Ein Bretagne-Roman. München: btb, 2017. | Trois éclats tout les vingt secondes. Paris: Éditions Jean-Claude Lattès, 2014. Übersetzung Carolin Müller.

Vielen Dank für das Rezensionsexemplar!

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