Deutschland

Jan Böttcher. Das Kaff (2018)

Was ist Heimat? Wo liegt sie? Dort, wo man herkommt, wo die Wurzeln sind, die Familie? An dem Ort, zu dem man eine emotionale Bindung spürt? Architekt Michael Schürtz kommt nach Jahren in Berlin für einen Auftrag zurück in „das Kaff“, in dem er aufwuchs, aus dem er einst geflüchtet war. Zuerst voller Ablehnung nähert er sich dann dem Leben dort wieder an.

Als Bauleiter findet sich Michael Schürtz mit Anfang 40 in dem kleinen Ort wieder, in dem er aufgewachsen ist. Ein vorübergehender Aufenthalt, anders wäre der Kleinstadt-Mief nicht zu ertragen. Und die vielen Erinnerungen an seine Mutter und die Geschwister, Schulfreunde, den alten Fußballverein …

Dazugehören

Während der Leser anfangs einige der Probleme auf der Baustelle miterleben darf, wird dann die Neugier „Michas“ auf seine Erinnerungen größer und nimmt immer mehr Raum ein. Die positiven Erinnerungen an seinen Verein locken ihn zuerst dorthin, er trifft alte Bekannte, bekommt sofort das Angebot, als Jugendtrainer einzusteigen – hier gehört Micha immer noch dazu, ganz unproblematisch und ohne viele Fragen.

Aufwachsen

Seinen Geschwistern „Jul“ und „Nuss“ geht er anfangs aus dem Weg, nach einigen Gesprächen schafft er eine Annäherung an seine Schwester, geht sogar mit zum Geburtstag des Bruders. Viele Erinnerungen drehen sich um die Mutter und um Michas holprige Karriere, nachdem er die Schule abgebrochen hatte, eine Tischlerlehre bei „Sancho“ absolvierte, bevor er ins „richtige Leben“ nach Berlin aufbrach.

Unterschlüpfen?

Als Micha Carla kennenlernt, die in eine der Wohnungen einzieht, die er gerade gebaut hat, beginnen die beiden eine Beziehung, schnell zieht Micha bei ihr und ihrem Sohn Tobi ein. Der trainiert auch in Michas Jugendmannschaft … willkommen Idylle und Klischee in der norddeutschen Kleinstadt. Micha stellt sich die Frage gar nicht, ob er seine früheren Ideale verrät oder warum er sich jetzt vorstellen kann, hier zu leben. Es ergibt sich halt alles so, das scheint ausreichend. Sein Großstadt-Panzer hat sich irgendwann aufgelöst. Ist er erst jetzt wieder er selber? Oder eine neue alte Version seiner selbst?

Das provinzielle Ich

Böttcher lässt Micha als Ich-Erzähler berichten, der Leser ist somit jederzeit direkt an den Gedanken des Protagonisten. Von der Ablehnung der Provinz und der eingebildeten Überlegenheit des Möchte-gern-Großstädters, über die wachsende Neugier und Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit bis hin zur Akzeptanz, ja zum Klein-Beigeben und Sich-Einbringen … Micha berichtet von den Ereignissen, seinen Erinnerungen, gelegentlich seinen Gedanken dazu – seine Gefühle thematisiert er eher nicht, keinesfalls die gegenüber dem „Kaff“. Die Sprache ist modern, oft lakonisch, die Handlung plätschert völlig unspektakulär dahin. Spannungsbogen? Nicht mal ansatzweise. Über 170 Seiten (in der mir vorliegenden Ausgabe) kann man das ganz gut schnell mal lesen – aber würde einem wirklich etwas entgehen, wenn man es nicht täte?

Jan Böttcher. Das Kaff. Berlin: Aufbau Verlag, 2018.

Vielen Dank für das Rezensionsexemplar!

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