England, Literatur

Jane Gardam. Weit weg von Verona (2018)

A portrait of the writer as a young girl – daran erinnert dieser erste Roman von Jane Gardam, der erst 2018 auf Deutsch erschienen ist. In ihm berichtet die 13-jährige Jessica Vye auf entwaffnend direkte Art davon, wie sie Schriftstellerin geworden ist und wie sie in dieser Zeit ihren Kriegsalltag wahrnahm.

Mit acht oder neun Jahren lernt Jessica Vye bei einem Vortrag in ihrer Schule einen echten Schriftsteller kennen – ein einschneidendes Erlebnis für das aufgeweckte Mädchen. Sie vertraut ihm ihre ersten Schreibversuche an und erhält Monate später die Rückmeldung, dass sie eine echte Schriftstellerin sei. Berufung oder Herausforderung? Doch zunächst einmal muss Jessica gemeinsam mit ihrer Familie einen Umzug und den Berufswechsel des Vaters vom angesehenen Lehrer zum Hilfsgeistlichen überstehen. Eine neue Schule gehört natürlich auch dazu …

Schule und Krieg

Wie für alle Kinder nimmt die Schule einen großen Raum ein im Leben von Jessica, sie stellt fest, dass sie nicht sonderlich beliebt ist, immerhin hat sie eine gute Freundin: Florence. Die Lehrerinnen sind entweder sehr demotivierend mit ihren Ratschlägen, andere auch ermutigend, aber zunächst bestimmt der Schüleralltag das Leben von Jessica, auch wenn bei ihr vieles anders aussieht, als es für „normale“ Kinder aussehen würde. Jessica nämlich ist nicht normal, wie sie gleich zu Anfang des Romans klarstellt, sie ist geradezu zwanghaft ehrlich und direkt, Anpassung gibt es bei ihr nicht, auch wenn ihr das an einem denkwürdigen Schultag gleich drei Tadel einbringt.

Romeo und Julia

Romeo und Julia ist Schullektüre, aber damit kann die 13-Jährige noch nichts anfangen. Kein Wunder also, dass die Annäherungsversuche von Christian, Sohn aus reichem Hause, bei Jessica vor allem auf Neugier und Verwunderung stoßen. Bei ihrem ersten Date will Christian, selber erst 14, aber schon glühender Sozialist, ihr einen Slum zeigen – die beiden geraten in einen Fliegerangriff, bei dem die Straße quasi vor ihren Augen zerstört wird. Und auch das zarte Pflänzchen Liebe, das sonst vielleicht zwischen beiden gewachsen wäre. Statt dessen muss jeder auf seine Weise den Schock verarbeiten.

Individuelle Wahrnehmung

Jessica kann sich wieder darauf konzentrieren, Schriftstellerin zu werden: Zum Happy End des Romans gewinnt sie einen Lyrikpreis, den die Times für Schüler ausgeschrieben hatte. Auch wenn sie selber das Gedicht inzwischen nur noch schlecht und peinlich findet, aber in der Jury saßen vermutlich Menschen, die etwas davon verstehen, und wenn die ihr Gedicht gut fanden, muss doch vielleicht etwas dran sein … Dem Mädchen wird auch klar, dass sie vermutlich vieles anders gesehen hat, als es in der Realität war – kann jemand Schriftsteller werden, der alles falsch sieht?

Eigenwillige Protagonistin

Erzählt wird Jessicas Geschichte von ihr selber als Ich-Erzählerin und das ist wirklich sehr gut gemacht. Sehr direkt und unverfälscht lässt sie die Leserin an ihren Gedanken und Gefühlen teilhaben, so konfus oder willkürlich das Ganze auch manchmal erscheinen mag. Erklärungen gibt es nicht, die 13-Jährige hat sie nicht und kann sie deshalb auch nicht an den Leser vermitteln, deshalb fehlen diesem häufig die Zusammenhänge, deshalb erscheint das Verhalten des Teenagers sprunghaft, die Gefühle häufig übermäßig emotional bei Ereignissen, die das objektiv gesehen gar nicht rechtfertigen. Vielleicht auch deswegen wirken die Ereignisse in diesem Roman nicht stringent, die Ereignisse scheinen willkürlich aneinandergereiht, wie es allerdings durchaus den Erinnerungen eines empfindsamen Teenagers entsprechen könnte.

Sprachlicher Stil + Übersetzung: 1940er – 1971 – 2017?

So lässt mich dieser erste Roman von Jane Gardam zwiegespalten zurück: Die direkte Art und Sprache von Jessica gefielen mir zwar sehr, aber passt diese Sprache stilistisch überhaupt in die Zeit, in der der Roman spielt (1940er-Jahre )? In England erschien der Roman zuerst 1971, auch das bereits Jahrzehnte entfernt, die deutsche Übersetzung entstand vermutlich 2017 – inwieweit entsprechen dann Sprache und Stil noch der Zeit der Handlung oder dem Original Gardams? Häufig erschien mir die Sprache zu modern für die 1940er-Jahre und die Handlung zu sprunghaft – doch eigentlich entspricht das ja genau dem Wesen und der Situation der Protagonistin, Pubertät par excellence. Auf jeden Fall hat Jane Gardam in diesem Roman eine sehr interessante Mädchengestalt geschaffen und – soweit sich das anhand der aktuellen Übersetzung beurteilen lässt – einen für sie hervorragend passenden Ton angeschlagen.

Jane Gardam. Weit weg von Verona. Berlin: Hanser, 2018. | A Long Way From Verona. London: Hamish Hamilton Ltd, 1971. Übersetzung von Isabel Bogdan.

Mehr zur Autorin auf der Autorenseite Jane Gardam.

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