Deutschland, Roman

Juli Zeh. Über Menschen (2021)

Nach Unterleuten wieder ein Dorfroman aus dem Brandenburger Land. Das Dorf Bracken liegt gar nicht so weit weg von Unterleuten, nur dass es hier noch einsamer, noch verlorener zuzugehen scheint.

Dora, Mittdreißigerin aus Berlin, Werbetexterin für eine Agentur, die nur ethisch korrekte Werbung macht, kauft sich im Dorf Bracken ein heruntergekommenes Haus – noch vor Corona, bevor ihr Freund Robert in Corona-Untergangsfantasien versinkt. Doch das gemeinsame Homeoffice macht Dora klar, dass sie wegmuss. Weg von Robert, von den Corona-Beschränkungen am liebsten auch, ganz besonders, wenn ihr Vater Jojo meint, dass für ihn die Ausnahme selbstverständlich ist.

Dora brackt.

In Bracken findet sich Dora im Garten wieder, wer auf dem Land lebt, muss den Garten bewirtschaften, also nimmt sie den Kampf mit der zugewucherten Brache auf. Im Haus gibt es kaum Möbel, viel aus der Stadt mitgenommen hat Dora auch nicht, die Leere suggeriert einen Neuanfang und gefällt ihr. Was ihr weniger gefällt, ist der Nachbar. Gottfried Proksch meckert über Doras Hündin – genannt Jochen der Rochen – und stellt sich gleich vor mit: „Ich bin hier der Dorf-Nazi“. Dora weiß nicht, ob sie entsetzt sein soll, einen Moment lang will sie am liebsten gleich wieder wegziehen, aber sie hat ja jetzt ein Haus. Und Nachbarn gibt es immer, die kann man sich nicht aussuchen.

Menschsein.

Doch „Gote“ macht Dora auch ein Bett und stellt ihr Stühle in den Garten, weil er weiß, dass sie ihr fehlen. Gote säuft mit Nazi-Kumpanen in seinem Garten und grölt das Horst-Wessel-Lied. Aber Gote schnitzt auch gemeinsam mit seiner Tochter, streicht mit Dora deren Haus. Und es ist Dora, die Gote nach einem Unfall findet, und als Tochter eines Chirurgen gleich die richtige Diagnose stellt. Von da an ist sie verantwortlich, sie selber sieht sich in der Verantwortung. Denn auch wenn Gote ein Nazi ist, ist er trotzdem noch ein Mensch, hat er auch noch andere, gute Seiten. Von denen auch Dora etwas spürt.

Ein kleiner Roman …

Anders als Unterleuten ist Über Menschen ein eher kleiner Roman mit nur wenigen Personen. Dora ist das Zentrum und der Fokus der Geschichte, die Städterin auf dem Lande, die gebildete Professoren-Tochter bei den Proleten. Eine Frau voller Verunsicherung, deren Weltsicht und Haltung ins Wanken geraten ist. Dazu der Dorf-Nazi Gote und seine kleine Tochter Franzi. Und Tom und Steffen, die im Dorf einen Hof betreiben, auf dem auch Ausländer arbeiten. Eine einzige Szene erhält Sadie, eine überforderte alleinerziehende Mutter. In der Stadt gibt es den Ex Robert, Doras Vater überwindet selbstbewusst auch die Grenze zwischen Stadt und Land.

… der Wesentliches anspricht

Aber dieser kleine Roman ist voller Sätze, die man sich am liebsten anstreichen möchte.

Die kribbelnden Bläschen brachten Doras Magen durcheinander und explodierten im Kopf. Sie fühlte sich schwindelig, als stünde sie vor einem Abgrund. Der Abgrund war die Vergeblichkeit.

Juli Zeh, Über Menschen

Auch wenn mancher Rezensent diese Sätze in die Nähe des Banalen rückt, treffen sie doch sehr gut wesentliche Fragen und Unsicherheiten. Dazu ein paar sehr gute Wortspiele – und am Ende kann man sich fragen, wie es um einen selber steht: Weiß ich noch, warum ich etwas mache? Hat alles einen Sinn oder nur noch einen Zweck? Können wir uns eine Haltung überhaupt noch leisten? Oder vergessen wir dabei das Einfachste, Grundlegendste, nämlich dass wir alle Menschen sind? Und dann geht es nämlich doch um die ganz große Frage nach unserem Sinn.

Juli Zeh. Über Menschen. München: Luchterhand, 2021.

Vielen Dank für das Rezensionsexemplar!

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