Österreich

Mareike Fallwickl. Das Licht ist hier viel heller (2019)

Ein Schriftsteller, der nach seiner Scheidung in ein tiefes Loch fällt, und seine Tochter, die langsam erwachsen wird. Miteinander reden können sie nicht, trotzdem erleben beide eine ganz ähnliche Geschichte – von zwei ganz unterschiedlichen Standpunkten. Gut erzählt, teilweise brutal schonungslos, absolut notwendig.

Der Schriftsteller Wenger, einst umjubelter Star der österreichischen und deutschen Literaturszene, findet sich nach seiner Scheidung alleine in einer kleinen Wohnung wieder. Schreiben kann er schon lange nicht mehr, das Selbstmitleid hat ihn im Griff. Seine Schwester versorgt ihn mit dem Nötigsten.

Briefe aus San Remo

Bis Wenger beginnt, die Briefe zu lesen, die eine Unbekannte an seinen Vormieter schickt. Wenger ist fasziniert von dieser Frau, berührt von ihrer Geschichte. Und nachdem er sich gegenüber seiner Ex-Frau und deren neuem Lebensgefährten noch ein bisschen zum Affen gemacht hat, sich via Tinder mit einer viel jüngeren Frau getroffen hat – kommt ihm auf einmal die Idee für einen neuen Roman. Wenger beginnt zu schreiben, leidenschaftlich, als weibliche Perspektive baut er kurzerhand die Briefe der Unbekannten ein.

Zoey und die Kamera

Wengers Tochter Zoey liefert eine weibliche Sicht auf das Thema: sexueller Missbrauch, sexuelle Nötigung, sexueller Übergriff – das genaue Etikett ist nicht so wichtig. Zoey hat ihre Liebe zur Fotografie entdeckt und jobbt bei einem Fotografen, um sich eine anständige Kamera leisten zu können. Eines Abends ist er angetrunken und bedrängt Zoey, es kommt nicht zum Äußersten, aber die Verletzung wiegt trotzdem schwer. Der Fotograf kauft sich los mit der Kamera, der Zoey nicht widerstehen kann … fürs Erste.

Die Inspiration

Auch die Unbekannte aus den Briefen hat sexuellen Missbrauch erfahren, Wenger hat einen begangen, früher, heute nur beinahe, aber der Gedanke war da. Für ihn heute die Inspiration zu seinem neusten Roman, der endlich wieder gefeiert wird: Rechtzeitig zu #Metoo erschienen, ist Wenger zurück am Literaturhimmel.

Eine männliche Perspektive – bei der der Mann auch aus der Beinahe-Tat seinen Nutzen zieht. Und zwei weibliche Perspektiven, die auf unterschiedliche Art zutiefst verletzt sind. Zoey schafft es schließlich, zu explodieren und ihre Wut herauszulassen – und als Leserin kann man ihr nur dazu gratulieren.

Angry young woman

Mareike Fallwickl erzählt die Geschichte sehr eindringlich, lebendig, schonungslos, die Wirkung auf die Leserin ist teilweise heftig. Ich jedenfalls musste den Roman trotz aller Faszination zwischendurch beiseitelegen, weil es einfach zu sehr schmerzte, weil es zu brutal war, zu direkt, zu ungerecht. Aber auch beschämt, weil mich schon dieses Erleben aus dritter Hand überfordert. Und am Ende erleichtert, weil Zoey es doch noch schafft, ihrer Wut Raum zu geben. Eine „angry young woman“, die wir uns vielleicht alle zum Vorbild nehmen sollten. Und vielleicht kann man auch Autorin Mareike Fallwickl als solche bezeichnen …

Mareike Fallwickl. Das Licht ist hier viel heller. Frankfurt: Frankfurter Verlagsanstalt, 2019.

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