Ab jetzt ist Ruhe
Deutschland, Literatur

Marion Brasch. Ab jetzt ist Ruhe (2012)

In Romanform erzählt Marion Brasch die Geschichte ihrer Familie in der DDR: der Vater ein überzeugter Parteifunktionär, die Mutter, die nie mehr in Deutschland leben wollte, drei ältere Brüder, die eigene Wege gehen wollen, auch in diesem Staat. Was irgendwie nicht gutgehen kann …

Aus England kamen die Eltern der namenlosen Ich-Erzählerin nach Ost-Berlin. Dorthin waren sie als Juden aus Deutschland bzw. Österreich geflüchtet, dorthin wollte die Mutter nie wieder zurück. Doch der Vater ist überzeugter Sozialist, er glaubt fest daran, dass dieser Staat ein besseres Leben ermöglichen kann. Die Mutter folgt ihm, glücklich ist sie nicht.

Drei ältere Brüder

Die drei älteren Brüder der Ich-Erzählerin bestimmen das Leben der Familie: Als der Älteste wagt, den Staat zu kritisieren, wird nicht nur er verurteilt, sondern auch der Vater – und mit ihm natürlich die ganze Familie – von Berlin nach Karl-Marx-Stadt strafversetzt. Die älteren Brüder sind Künstlernaturen, werden Schriftsteller und Schauspieler, werden berühmt und ausgezeichnet, aber kommen weder mit dem Regime noch mit ihrem linientreuen Vater zurecht. Der Älteste geht früh in den Westen, der Mittlere, der Schauspieler, findet früh den Tod. Alle drei suchen Trost im Alkohol, finden ihn natürlich nicht.

Die kleine Schwester

Die kleine Schwester ist die Langweilige der Geschwister, wie sie von sich selber sagt. Sie versucht auszugleichen, sie versteht die Brüder und irgendwie auch den Vater, hasst die Streitereien. Hat sie eine eigene Meinung? Sie glaubt es nicht. Tritt dem Vater zuliebe sogar in die SED ein, obwohl es genug zu kritisieren gäbe in ihrem Heimatland. Über die Brüder lernt sie auch Dissidenten kennen, Dichter, Schauspielerinnen, Tänzerinnen. Sie mag sie, versteht vieles. Doch was sie selber eigentlich will, wer sie ist oder sein will, enthüllt sich ihr nicht.

Faszinierend

Tatsächlich scheint Marion Brasch in diesem Roman ihrer Familie ein belletristisches Denkmal gesetzt zu haben. Vielleicht sind Details der Fantasie entsprungen, doch die großen Linien scheinen der Realität zu entsprechen. Macht das die Faszination dieses Romans aus? Oder sind es die Beschreibungen eines Alltags in der DDR? Die Konflikte zwischen Idealismus und Realität, die Vater und Brüder ausfechten; Kämpfe, bei denen die Ich-Erzählerin hilflos von der Seitenlinie zuschaut?

Distanziert

Schade ist die große Distanz, mit der Brasch ihre Geschichte erzählt. Ein eher oberflächlicher Ton, bis zum Schluss aus dem Blickwinkel der kleinen Schwester, die die großen Brüder nicht wirklich verstehen kann. Nüchtern berichtet sie von Alkohol und wechselnden Frauengeschichten, von bekannten Dissidenten oder Schauspielerinnen – übrigens ohne Namen zu nennen. Ihre eigene Verzweiflung findet nur Ausdruck in sparsamen Andeutungen. Gefühle? Meinungen? Da hält sich die Autorin bedeckt, da hält sich die Ich-Erzählerin heraus. Bis hin zu den Beerdigungen, bei denen sie einen geliebten Menschen nach dem anderen gehen lassen muss.

Die Autorin schafft es, der Leserin zu vermitteln, dass das Leben, der Alltag ihrer Familie voller Konflikte war – aber sie gestattet nur den Blick auf die Oberfläche. Die Klein-Mädchen-Perspektive durchgehalten bis zum Schluss. Ein Blick auf ihre „fabelhafte Familie“ in Andeutungen.

Ab jetzt ist Ruhe

Marion Brasch. Ab jetzt ist Ruhe. Roman meiner fabelhaften Familie. Frankfurt: Fischer, 2012.

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