ausgezeichnet, Frankreich

Hélène Grémillon. Das geheime Prinzip der Liebe (dt. 2012)

Paris 1975. Kurz nach dem Tod ihrer Mutter erhält Camille Werner geheimnisvolle Briefe von einem Unbekannten. In Fortsetzungen erzählen sie die Geschichte von Annie, einer jungen Malerin, und Madame M., ihrer Mäzenin im Frankreich der 1930er-Jahre. Was als Freundschaft beginnt, nimmt bald eine andere Dimension an, als Annie ihrer Gönnerin anbietet, das von dieser ersehnte Kind für sie auszutragen.

Madame M. ist schon lange besessen von dem Wunsch nach einem Kind, für Annie ist ein Kind nur eine abstrakte Idee, als sie den Vorschlag macht. Schon, dass Madame M. ihren Mann Paul als Vater des Kindes vorsieht, führt zu Konflikten, da sie ihren Mann wirklich liebt. Doch für ihr Kind ist sie bereit, dieses Opfer zu bringen und Anflüge von Schuld zu ignorieren.

Freundschaft wird zu Neid und Angst

Die Freundschaft der beiden Frauen bleibt nach außen hin gleich, doch jede kämpft ab da mit ihren Gefühlen: Annie verliebt sich in den Mann ihrer Freundin und beide haben eine Affäre – neben den ‘offiziellen’ Treffen, die zu einem Kind führen sollen. Und da Madame M. die beiden eifersüchtig beobachtet, bleibt ihr das nicht verborgen. Das “Beobachten” ist wörtlich zu nehmen, denn zum Zweck der Schwangerschaft hat sie einen Schlafraum eingerichtet, wo sie sich hinter Vorhängen versteckt, um bei der Zeugung ihres Kindes dabei zu sein.

Mutter werden – so oder so

Als Annie schwanger ist, dann ja sogar von einem Mann, den sie liebt, ist das Kind nicht mehr abstrakt, sondern Muttergefühle kommen auf. Doch noch immer tut sie so, als sei sie damit einverstanden, das Kind abzugeben. Sie solle ihr Kind später jederzeit besuchen können, verspricht ihr Madame M. Doch als sie Annie nach Paris bringt und in ihrer Wohnung versteckt, ja gefangen hält, ahnt die Schwangere, dass sie gegen den Wahn der anderen keine Chance haben wird.

Gegenwart: Das Kind

Camille liest die Briefe immer betroffener, ihr wird klar, dass sie das Kind sein muss, um das es in der Geschichte geht. War ihre verstorbene Mutter Madame M. oder doch Annie, die einen Ausweg gefunden hatte? Da Camille schwanger ist, wirken die Enthüllungen umso dramatischer auf sie. Der Vater ihres Kindes will nichts von dem Baby wissen, doch das belastet sie kaum. Ihre eigene Herkunft ist gerade spannender, sie beginnt Nachforschungen. Doch die Gegenwart von Camille findet eher am Rande statt, zum eigentlichen Thema des Romans hat sie nicht sehr viel beizutragen.

Preisgekrönte Literatur

Trotz des etwas süßlichen Titels ist Das geheime Prinzip der Liebe ein hervorragender Roman, der von der ersten bis zur letzten Seite gefangen hält. Grémillon erzählt so eindringlich und mit psychologischem Feingefühl von den emotionalen Abgründen ihrer Protagonisten – oder besser noch: sie lässt sie als vier verschiedene Ich-Erzähler in jeweils eigenem Stil berichten. Die Handlung ist sehr gut konstruiert, mit überraschenden Wendungen und mit einer Dramaturgie, in der sich Grémillons Erfahrung als Filmemacherin zeigt. Die Sprache ist klar und schnörkellos, aber sehr eindringlich, auch noch in der Übersetzung.

Der Roman erhielt in Frankreich den Prix Emmanuel-Roblès als bester Debütroman des Jahres.

Hélène Grémillon. Das geheime Prinzip der Liebe. Hamburg: Hoffmann & Campe, 2012/ Paperback Droemer Knaur, 2014. | Le Confident. Paris 2010. Übersetzung von Claudia Steinitz.

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