Deutschland, Krimi

Inge Löhnig. Unbarmherzig – Gina Angelucci 2 (2019)

Auf einem Kiesabladeplatz werden zwei Skelette gefunden – gestorben sind beide vor 70 bis 80 Jahren, wie der Pathologe sagen kann. Als er darüber hinaus feststellt, dass einer der beiden ein junger Mann aus dem Dorf gewesen sein muss, der erschossen wurde, werden alte Wunden aufgerissen und die Vergangenheit für manche Beteiligte noch einmal sehr lebendig. Kommissarin Gina Angelucci ist entschlossen, den Mörder von damals zu finden.

Es ist die Altbrucker Steinmetzin Ella Loibl, die nach getaner Arbeit eine Radtour macht und auf dem Kiesabladeplatz Teile der Skelette findet. Sie alarmiert die Polizei. Zwar will der zuständige Staatsanwalt die Sache lieber nicht untersuchen – viel zu lange her, einen Mörder finde man jetzt eh nicht mehr – aber Kommissarin Gina Angelucci, Spezialistin für Cold Cases bei der Münchner Polizei, lässt nicht locker. Sie denkt an die Angehörigen, die vielleicht seit Jahrzehnten auf Gewissheit warten.

Erinnerungen an die Kindheit

Nach zwei Jahren Elternzeit hat Gina Angelucci gerade erst wieder ihren Dienst aufgenommen, neben Tatendrang motiviert sie auch der menschliche Aspekt. Im Dörfchen Altbruck findet sie tatsächlich noch ein paar ältere Frauen mit einem guten Gedächtnis. Ganz besonders scheinen die Familien Anger und Schattenhofer betroffen, die verwandt und durch eine alte Feindschaft verbunden sind. Hans Schattenhofer war in der Zeit des Nationalsozialismus Bürgermeister im Ort und als strammer Nazi sehr mächtig. Seine Tochter Antonia ist jetzt beinahe 90, sie vergötterte ihren Vater und will nicht an ihrer Erinnerung kratzen lassen. Ihre Cousine Lisbeth aus dem Anger-Clan glaubt bis heute, dass 1944 der damalige Bürgermeister Schattenhofer, ihr Onkel, schuld war am Verschwinden ihres Bruders Benedikt. Der soll später gefallen sein.

Zwangsarbeiterin im Zweiten Weltkrieg

Da die Wissenschaftler per Isotopenanalyse herausfinden, dass die andere Tote eine junge Lettin war, liegt der Verdacht nahe, dass sie eine Zwangsarbeiterin in der Munitionsfabrik war, die es damals in Altbruck gab. An derselben Stelle soll jetzt ein Gewerbegebiet entstehen, Schutt und Kies dieser Bauarbeiten werden genau dort abgeladen, wo die beiden Skelette aufgetaucht sind  … Doch wer war die junge Frau? Und was verband sie mit einem Mann aus dem Dorf? Beziehungen waren natürlich verboten. Und wer hat die beiden warum erschossen?

Vergangenheit lebendig gemacht

Autorin Inge Löhnig versteht es in diesem Krimi meisterhaft, Geschichte lebendig werden zu lassen. In Szenen aus dem Jahr 1944 wird das spätere Opfer als junges Mädchen gezeigt, das sich unter diesen schlimmen Umständen alleine durchschlagen muss. Hunger, Entbehrungen und Ängste werden so aus ihrer Sicht unmittelbar erlebbar, dazu sind nicht einmal dramtische Ereignisse nötig. Dass die Vergangenheit immer noch lebendig ist, davon berichtet die Autorin, indem sie ihre Protagonisten mit Neonazis zusammentreffen lässt. Beides ist sehr gut gemacht, sehr eindringlich und man muss sich wünschen, dass diese Zusammenhänge noch häufiger thematisiert werden.

Spannung ohne Action

Der Kriminalfall ist zwar ein Cold Case, Spannung entsteht aber trotzdem. Wie bei einem Puzzle kann der Leser die Informationen zusammensetzen, die die verschiedenen Beteiligten in Erinnerungen oder Rückblenden offenbaren – dem Leser, aber nicht immer der Kommissarin. Obwohl diese wirklich mit viel Herzblut, Ausdauer und auch Mitgefühl den Fall verfolgt. Rasante Verfolgungsjagden und heiße Action-Szenen gibt es in diesem Krimi nicht, dafür schaut er viel tiefer in die Menschen (und unsere Geschichte) hinein, als das im Krimi üblich ist. Wer also mehr an Menschen, ihren Schicksalen und Beweggründen interessiert ist als an Action, findet in diesem Krimi eine hervorragende Lektüre.

Inge Löhnig. Unbarmherzig. Berlin: Ullstein, 2019. (Gina Angelucci 2)

Vielen Dank für das Rezensionsexemplar via NetGalleyDE.

Mehr zur Autorin und ihren Krimis auf der Autorenseite Inge Löhnig.

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