Deutschland, Literatur

Kristine Bilkau. Eine Liebe, in Gedanken (2018)

Eine Mutter stirbt, eine Tochter – auch sie Mutter einer Tochter – bleibt zurück. Die Ich-Erzählerin trauert und erinnert sich, rekonstruiert die Liebesgeschichte, die das Leben der Mutter bestimmte. Und findet auf unerwartete Weise Trost über den Verlust der Mutter und im Hinblick auf ihre eigenen Ängste vor Einsamkeit und Alter.

Neben der Trauer um die Mutter sind es auch eigene Ängste, die die Ich-Erzählerin, eine Architektin, pragmatisch und eher zupackend, dazu bringen, in das Leben der Mutter einzutauchen. Aus ein paar Erinnerungen und gefundenen Briefen rekonstruiert sie die Liebesgeschichte der jungen Antonia Weber im Jahr 1964 in Hamburg. „Toni“ ist entschlossen, das Leben zu genießen, zu erleben und zu konsumieren, eine moderne junge Frau dieser Zeit. Sie verliebt sich in Edgar Janssen, nicht viel älter als sie, die Beziehung entwickelt sich, vertieft sich, bis er eine berufliche Chance in Hongkong ergreift. Toni soll nachkommen, so der Plan. Über Briefe hält das Paar den Kontakt, Briefe die manchmal drei Wochen unterwegs sind – unvorstellbar fast im Internet-Zeitalter.

Das Paar verliert sich

Doch die Beziehung läuft ins Leere, Toni wartet, zuletzt quasi auf gepackten Koffern, auf ein Flugticket, das nie eintrifft. Auch eine Erklärung gibt Edgar nicht, weder in den 60ern noch später. Antonia heiratet später zweimal, bekommt ihre Tochter, vergisst die Liebe zu Edgar aber nie. Sie fährt regelmäßig am Haus seiner Eltern vorbei, viele Jahre später treffen sich Antonia und Edgar noch einmal, eine Erklärung erhält Antonia nicht. Und auch der Ich-Erzählerin, die ein Treffen mit dem alten Herrn herbeiführt, hat Edgar keinen handfesten Grund anzubieten.

Liebe und Erinnerung

Für ihre Mutter Antonia schienen diese Liebe und die Erinnerungen trotzdem die Einsamkeit ihrer letzten Jahre zu füllen. Die Einsamkeit, vor der auch die Ich-Erzählerin gerade Angst hat, da ihre eigene Tochter flügge wird. Wie geht man um mit dem Alleinsein, der zunehmenden Gebrechlichkeit, dem Alter? In der Liebesgeschichte ihrer Mutter scheint die Ich-Erzählerin Antworten und Trost zu finden. Wobei Edgar eine schwache Persönlichkeit bleibt, Männer sind nur Randfiguren in diesem Roman.

Tröstlich

Der Ausgangspunkt dieses Romans ist ein geläufiger: Sohn oder Tochter erinnern sich beim Tod eines Elternteils, Szenen aus dem elterlichen Leben vermischen sich mit der Gegenwart. Die Autorin hat aus diesem Ansatz einen guten Roman gemacht. Zum einen wegen der Liebesgeschichte, die so ins Vage ausläuft, im Sande verläuft, über Jahrzehnte ohne richtigen Abschluss bleibt, zum anderen wegen der Art und Weise, diese Geschichte und aus dem Leben der Tochter zu erzählen. Denn es geht zwar um Tod, Trauer, Scheitern und Ängste, aber Kristine Bilkau erzählt in einem leichten, poetischen Ton, sodass der Leser am Ende wie die Ich-Erzählerin ein wenig getröstet und gestärkt aus dem Roman wieder auftaucht.

Kristine Bilkau. Eine Liebe, in Gedanken. München: Luchterhand, 2018.

Vielen Dank für das Rezensionsexemplar!

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