Norwegen, Sachbuch

Line Nagell Ylvisåker. Meine Welt schmilzt (2021)

Ein Bericht vom Leben auf Spitzbergen und eine Analyse der einschneidenden Klima-Veränderungen, die jetzt schon dort zu spüren sind. Bitte unbedingt lesen!

Line Nagell Ylvisåker ist Journalistin und lebt auf Spitzbergen, der Inselgruppe ganz im Norden Norwegens, die schon zur Arktis gehört. Also eigentlich Schnee-Garantie, sollte man meinen, und bis vor ein paar Jahren war das auch so. Eine unwirtliche, aber auch sehr faszinierende Welt für die Autorin, die sich dort mit Mann und zwei Kindern ein Leben aufgebaut hat. Dabei war es gerade die Natur, die für sie den Ausschlag gab.

Regen im Schneeland

Doch seit einigen Jahren ändert sich das Leben auf den Inseln. Auf einmal gibt es Lawinen, weil es nicht mehr so kalt ist, Schnee und Eis schmilzt und durch Regen zusätzlich instabil wird. Regen kannten die Spitzbergener früher nicht, jetzt gibt es auf einmal Schlamm. Ganze Häuserzeilen mussten regelmäßig evakuiert werden, inzwischen sind diese Häuser vermutlich abgerissen. Lawinenzäune wurden notwendig und werden mit großem Aufwand gebaut. Wo Menschen mit Technologie den Lebensraum für sich erhalten können – bisher jedenfalls noch -, haben es Flora und Fauna schwieriger.

Fragen und Zukunft

Als die erste Lawine im Hauptort Longyearbyen zwei Todesopfer fordert und auf einmal die Angst Einzug hält im Ort, beginnt Line Nagell Ylvisåker Fragen zu stellen. Sie möchte verstehen, wie es zu den Veränderungen im Klima kommen konnte und was in Zukunft zu erwarten ist. Dass die Kohle, die die Existenzgrundlage der Besiedlung Spitzbergens war, an der Klimaerwärmung Mitschuld trägt, ist da natürlich ironisch.

Illustrierte Forschungsergebnisse

Die Journalistin hat in ihrem Buch Gespräche mit vielen Wissenschaftlern zusammengetragen, die ihre Fragen beantwortet haben, jedenfalls teilweise. Viele Forschungsergebnisse zum Wetter, zu Stürmen und Lawinen, gibt es natürlich, aber Prognosen bleiben zwangsläufig unsicher. Die Erklärungen der Wissenschaftler „übersetzt“ die Autorin ganz gut in eine Sprache, die man auch als Laie verstehen kann. Als Illustration gibt es ihre eigenen Beobachtungen, die persönlichen Erlebnisse bei den Lawinen, eine Begegnung mit drei hungrigen Eisbären und ihre Tour mit einem Forschungsschiff, das Temperaturmessungen durchführt. Und feststellt, dass es seit den letzten Messungen schon wieder überall wärmer geworden ist.

Unbedingt lesen!

Wie lange können noch Menschen auf Spitzbergen leben? Was passiert, wenn es weiter taut und der Permafrost das in ihm gespeicherte Methan an die Atmosphäre abgibt? Die Forschungsergebnisse sind so einleuchtend und erschreckend, dass man sich als Leser wirklich fragt, wie die Politik den Kopf dermaßen in den Sand stecken kann. Und viele Menschen natürlich auch. Sehr schade, dass das Buch vermutlich auch wieder nur diejenigen lesen werden, die sowieso schon für das Thema sensibilisiert sind. Dabei schafft es die Autorin, recht sachlich, aber sehr anschaulich von den schon jetzt großen Veränderungen auf Spitzbergen zu berichten. – Das ist weit weg? Nein, eigentlich nicht. Auf diesem Planeten sitzen wir bei der Klimaerwärmung alle in einem Boot. Es ist deprimierend zu sehen, wie wenige Menschen sich tatsächlich Mühe geben, ihren eigenen ökologischen Fußabdruck etwas zu verbessern, um so wenigstens einen kleinen Beitrag zu leisten. Mir hat dieses Buch jedenfalls mal wieder eindrücklich vor Augen geführt, wie unbedingt notwendig das ist. Also bitte, bitte unbedingt lesen!!!

Line Nagell Ylvisåker. Meine Welt schmilzt. Wie das Klima mein Dorf verwandelt. Hamburg: Hoffmann und Campe, 2021.

Vielen Dank für das Rezensionsexemplar via NetGalleyDE!

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