Sachbuch

Nicole Seifert. Frauen Literatur (2021)

Schon am Begriff „Frauenliteratur“ scheiden sich die Geister – und auch die Literaturwissenschaftlerin Nicole Seifert tut sich mit ihm schwer. Unter anderem deshalb ist der Teil „Frauen“ durchgestrichen. Denn auch die Literatur von Frauen sollte selbstverständlicher Bestandteil der Literatur sein – warum das so sein sollte, aber nicht so ist, stellt Seifert in diesem Buch dar. Ebenso klug wie engagiert.

Nicole Seifert beginnt ihre Betrachtungen mit einem kleinen Rückblick auf ihre eigene Lesesozialisation, so wie wir sie alle erlebt haben: Literatur, das waren Werke von Männern. Im Regal der Eltern, in der Schule, im Literaturstudium. Auf dem Lehrplan in der Schule standen nur Werke von Männern, und selbst meine feministisch angehauchte Lehrerin im Deutsch-Leistungskurs konnte (oder wollte?) nur ausnahmsweise mal ein Gedicht einer Autorin einfließen lassen. Denn das war „Frauenliteratur“ und als solche als minderwertig konnotiert, meine eigenen Erfahrungen entsprechen denen von Seifert absolut, dabei habe ich etliche Jahre früher als sie Schule und Studium durchlaufen.

Autorinnen lesen

Das ist vermutlich das größte Verdienst dieses Buches, dass wir alle überlegen, wie ist das eigentlich bei uns mit den Autorinnen. Zwar habe ich schon relativ früh festgestellt, dass ich lieber Bücher von Frauen lese – aber eben auch mit dem Gefühl verbunden, dass ich wohl keinen Sinn für die „hohe Literatur“ ( = die Literatur von Männern) habe. An der Uni wurde das natürlich nie gesagt, aber das gönnerhafte Lächeln eines Professors bei der Auswahl von Romanen von Frauen für die Seminararbeit vermittelte dasselbe. Und ja, auch bei mir musste erst eine Professorin kommen, damit endlich große Autorinnen in den Vorlesungskatalog Einzug halten konnten. Und für die Entdeckung von Margaret Atwood danke ich Professorin Nischik noch heute!

Männliche Seilschaften

Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen möchte ich Nicole Seifert auf jeder Seite ihres Buches zustimmen und es tat ungeheuer gut zu lesen, dass das Totschlagargument von männlichen Kritikern und Professoren, Frauen würden einfach nicht diese Qualität abliefern, grundweg falsch ist. Gut, den letzten Beweis dafür bleibt Nicole Seifert schuldig, es scheint mehr ein recht subjektives Urteil aufgrund ihrer Lektüre der letzten Jahre zu sein. Aber ihre Logik dahinter ist trotzdem bestechend, denn überall scheinen Männer Angst davor zu haben, dass ihnen eine Frau den Rang abläuft. Nicht umsonst müssen sogar heute noch Frauen in der Regel besser sein als ein Mann, um denselben Job zu bekommen. Kein Wunder also, dass die überwiegend männlichen Kritiker (Denn nur deren Meinung zählt? Oder bekommen Männer eher diesen Job?) auch überwiegend Bücher männlicher Kollegen besprechen und dafür sorgen, dass diese häufiger gelesen werden und so eher Eingang in einen Kanon und damit in Schul- und Universitätslektüre finden.

Begeisternd und erhellend

Nicole Seifert hat dies in ihrem Buch wunderbar zusammengefasst und schlüssig dargestellt. Wer es gelesen hat, braucht sich wegen seiner Vorliebe für die Bücher von Autorinnen nicht mehr schlecht zu fühlen. Und sie – vermutlich werden es auch hier wieder mal überwiegend Frauen sein, die das Buch lesen – werden mit der Begeisterung der Autorin angesteckt, sich an die Wiederentdeckung der großen Werke der Weltliteratur zu machen: derjenigen von Autorinnen!

Ach ja: In meinem Regal stehen tatsächlich zu 70 bis 80 % Bücher von Autorinnen. Bin ich damit meiner Zeit schon voraus? Aber ja, es ist wohl nicht alles große Literatur und Unterhaltung durften Frauen ja schreiben. Wobei auch diese Einordnung natürlich nicht so eindeutig ist bzw. von jemandem vorgenommen werden muss …

Nicole Seifert. Frauen Literatur. Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2021.

Vielen Dank für das Rezensionsexemplar!

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