Deutschland, Guernsey, Krimi, Lieblingsbücher

Tim Binding. Island Madness (1998)

Im Zweiten Weltkrieg muss die Kanalinsel Guernsey einige Jahre unter deutscher Besatzung leben. Die deutschen Soldaten, die als stolze Eroberer kamen, teilen bald Elend und Hunger der Inselbewohner, die nicht mehr rechtzeitig evakuiert werden konnten. In diesem Roman ist die Insel noch nicht in den Hungerjahren angekommen, sondern er erzählt aus der Zeit davor, vom Versuch einer gemeinsamen Ordnung, von Verbrüderung und Widerstand, von Kriegsgewinnlern und Liebenden.

Die große Villa der ehrwürdigen Mrs. Hallivand ist zum Wohnsitz geworden für etliche Offiziere der deutschen Armee. Die Hausbesitzerin ist bei ihrem Butler im Pförtnerhäuschen untergekommen, Albert, Butler, Koch, Hausmeister in einer Person versorgt jetzt die Offiziere. Zu denen gehört auch Gerhard Lentsch, einer der umgänglichsten unter den hohen Herren. Er behandelt alle Menschen mit Respekt, trifft sich mit Mrs. Hallivand zum Plausch über Kunst und Kultur, versucht, ihren Besitz vor Vandalismus zu schützen – und verliebt sich in Isobel Van Dielen, die Tochter eines Bauunternehmers.

Der Inselpolizist

Von ihr träumt auch immer noch der Guernsey Man und Inselpolizist Ned Luscombe, ein Neffe von Albert. Eine kleine Sommerliebelei verband die beiden einst über alle Standesgrenzen hinweg – an die Isobels Vater den jungen Mann allerdings nachdrücklich erinnert hat. Doch jetzt erhält Ned eine Nachricht von Isobel, sie müsse ihn unbedingt treffen, und kurz macht er sich wieder Hoffnungen. Schließlich muss es um etwas gehen, das sie nicht mit ihrem aktuellen Favoriten Lentsch besprechen kann.

Das Mordopfer

Doch zu einem Treffen kommt es nicht mehr, Isobel wird ermordet aufgefunden, Mund und Ohren mit Zement verstopft. Letzteres deutet auf eine Bestrafung der Inselbewohner für die Kollaboration hin, könnte aber natürlich auch als falsche Fährte gelegt worden sein. Ned soll den Mord aufklären und muss dabei gleichzeitig darauf achten, keinem der deutschen Besatzer auf die Füße zu treten … immerhin kommen er und sein „Konkurrent“ Lentsch sich näher, sie freunden sich tatsächlich an.

Zwischen Kriegsgewinnlern und Zwangsarbeitern

Isobels Vater, der mit den Besatzern für ihre umfangreichen Bauarbeiten gute Geschäfte gemacht hat, verschwindet nach der Ermordung seiner Tochter. Veronica, eine Ex-Freundin von Ned, tritt im kleinen Inseltheater auf und angelt sich auch einen deutschen Galan, denn dies bedeutet Vergünstigungen, gutes Essen, Kleidung, Feiern. Doch sie stellt fest, dass es nicht ganz so ist, wie sie es sich vorgestellt hatte. Und als eines Tages ein Junge in ihrem Garten steht, der zu den Zwangsarbeitern gehört, die die Deutschen in ihren Baustellen schuften lassen, kümmert sie sich liebevoll um ihn, statt ihn zu verraten.

Menschen im Ausnahmezustand

Auch wenn es in diesem Roman vordergründig um einen Mord geht, ist er so viel mehr als ein Krimi! Die Charakterzeichnungen sind hervorragend, die Menschen werden genauso wie ihr Umfeld sehr lebendig. Was bedeutet es, unter einer Besatzungsmacht zu leben? Passt man sich an? Sucht man seinen Vorteil? Wagt man Widerstand? Aber auch unter den Besatzern sind Menschen, die wenigstens gerecht sein wollen und sich doch gegen die Befehlsstrukturen und die Machtbesessenen nicht wehren können.

Erstklassig

Auch wenn dieser Roman von Autor Tim Binding (der übrigens 1947 in Deutschland geboren ist, aber schon lange in England lebt) schon einige Jahre auf dem Buckel hat, bleibt er trotzdem in seinem historischen Setting immer aktuell und ein erstklassiger Roman, den ich nur jedem ans Herz legen kann, der sich ein wenig für die Geschichte Guernseys interessiert!

Tim Binding. Island Madness. London: Picador, 1998.

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