Belletristik, Frankreich, Literatur

Véronique Olmi. Die Ungeduldigen (2022)

Drei Schwestern zwischen dem provinziellen Aix-en-Provence und dem mondänen Leben in Paris stehen im Mittelpunkt von Véronique Olmis neustem Roman. Und die 1970er-Jahre mit dem Aufbruch in eine neue Zeit, mit Feminismus und Protesten überall.

Sabine, Hélène und Mariette wachsen in Aix in einfachen Verhältnissen auf, gut katholisch erzogen. Doch der Duft der Freiheit hält schon früh Einzug, den Hélène fliegt regelmäßig zu einem reichen Onkel nach Paris. Dort lernt sie ein anderes Leben kennen, nicht nur mit vielen Annehmlichkeiten, die in Aix undenkbar sind, sondern mit einer gänzlich anderen Haltung zum Leben.

Zwischen Paris und Aix

Für ihre ältere Schwester Sabine bringt Hélène bei jeder Rückkehr den Duft der großen Welt mit und schon früh ist für Sabine klar, dass sie, sobald wie möglich, nach Paris gehen wird, um dort Schauspielerin zu werden. Hélène, leidenschaftliche Tierschützerin, beginnt nach dem Abitur ein Studium in Paris, immer noch großzügig unterstützt von Onkel und Tante. Die Jüngste, Mariette, bleibt mit den Eltern alleine in Aix und versucht auf ihre stille Art, sich abzugrenzen. Sie findet Zuflucht in der Musik.

Aufbruchstimmung

Während die Schwestern, jede auf ihre Weise, die Aufbruchstimmung ihrer Generation begrüßen, sich Selbstbestimmung und freie Liebe ersehnen, stehen die Eltern Agnès und Bruno diesen neuen Zeiten hilflos gegenüber. Als gute Katholiken erscheint es ihnen, als ginge die Welt geradewegs auf einem sündigen Weg in die Hölle. Dabei kostet auch Agnès vorsichtig an den neuen Werten, lässt sich heimlich von einer Freundin die Pille geben und setzt durch, dass sie arbeiten kann.

Neue Freiheiten

Vor allem wegen der 68er-Studentenbewegung ist diese Zeit im kollektiven Gedächtnis, aber daran hing noch so viel mehr für die jungen Frauen dieser Generation. Ein neues Selbstverständnis, aber auch enorme Erwartungen an das Leben. Die biederen Eltern in Aix, das ist vor allem eine Herkunft, aus der sich die drei Mädchen befreien wollen – was gar nicht immer so einfach ist. Denn auch hehre Ideale müssen im Alltag erst einmal bestehen. Und was Feministinnen wie Simone de Beauvoir und Gisèle Halimi vorlebten, ist keine Selbstverständlichkeit für ein katholisches Mädchen aus Aix. Aber es verheißt ihnen die Freiheit und das „echte Leben“.

Wunderbar erzählt

Es ist wunderbar, wie Véronique Olmi diese Aufbruchstimmung einfängt und ihre drei unterschiedlichen Protagonistinnen erleben lässt. Wie kann der Alltag aussehen mit solchen Zielen und Erwartungen? Das erzählt Olmi wie gewohnt mit einer fantastischen Leichtigkeit, meistens in kleinen Ereignissen und Erlebnissen der drei Mädchen. Das ist mal banaler Alltag wie die Liebe Sabines zu Mathieu, der ein Verfechter der freien Liebe ist, mal rührt es an historische Ereignisse wie ein Attentat in Paris oder die Beerdigung Sartres, bei der Sabine ebenso trauert wie viele in der Stadt.

Geschichte einer ganzen Generation

Ja, man kann sich sehr gut vorstellen, wie drei Mädchen bzw. junge Frauen aus der katholischen Provinz die neue Freiheit begierig aufsaugen und leben wollen. So gesehen hat Véronique Olmi nicht nur die Geschichte dreier Mädchen voller Lebenshunger erzählt, sondern eigentlich die Geschichte einer ganzen Generation, einer wichtigen Epoche für die Freiheit besonders von Frauen.

Véronique Olmi. Die Ungeduldigen. Berlin: Aufbau Verlag, 2022. | Les évasions particulières. Paris: Éditions Albin Michel, 2020. Aus dem Französischen von Claudia Steinitz.

Vielen Dank für das Rezensionsexemplar via NetGalleyDE!

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