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Elizabeth George. Something to Hide – Inspector Lynley 21 (2021)

Genitalverstümmelung innerhalb der nigerianischen Community in London – das ist das schwierige Thema, dem Elizabeth George ihren ebenso umfangreichen wie genialen Roman widmet. Als Krimi mag man das Werk kaum bezeichnen, das wieder einmal so viel mehr erzählt, beleuchtet und illustriert. Und weit entfernt vom immer noch häufigen Krimi-Schwarz-Weiß.

Lange bevor es einen Todesfall gibt, der den derzeitigen Superintendenten Thomas Lynley auf den Plan ruft, folgen wir Adaku durch London, bei der Beobachtung einer dubiosen Frauenklinik. Und wir sind mit Deborah St. James unterwegs, eine bekannte Figur der Serie, die mal wieder etwas in den Vordergrund rückt, die gerade in offiziellem Auftrag unterwegs ist, um Porträts von Mädchen zu erstellen, die in Orchid House Zuflucht gefunden haben. Ein Haus und eine Organisation, die gegen die Genitalverstümmelung kämpft.

Simisola

Und damit die Geschichte nicht zu abstrakt bleibt, lernen wir eine nigerianische Familie kennen. Die Tradition verlangt, dass die achtjährige Simisola „pure“ gemacht werden muss. Vater Adeo setzt seinen Willen notfalls mit Gewalt durch. Mutter Monifa steht auch noch unter dem Druck von Mutter und Schwiegermutter, die Verfechterinnen der alten Tradition sind. Zu ihrer englischen Umgebung hat sie kaum Kontakte. Doch immerhin möchte sie ihrer Tochter Schmerzen ersparen und sucht deshalb eine Klinik in der Stadt auf, die die Beschneidung unter Narkose vornimmt. Immerhin ist Simi ihren Eltern nicht alleine ausgeliefert, ihr älterer Bruder Tani ist fest entschlossen, sie vor diesem Schicksal zu bewahren. Dafür setzt der Student Himmel und Hölle in Bewegung, doch die Widerstände des Vaters sind nicht zu unterschätzen.

Diese menschliche Seite der Geschichte nimmt einen breiten Raum ein im Roman, es gibt zahlreiche Aufs und Abs – aber allesamt hochspannend.

Mark Phinney

Auch die Geschichte von Mark Phinney wird mit vielen Details erzählt. Gemeinsam mit seiner Frau Pietra kümmert er sich um ihre schwerstbehinderte Tochter, trotzdem kann er einer Affäre nicht widerstehen. Wie diese Figur in die Gesamtgeschichte passt, wird erst nach einer Weile deutlich, als der Kriminalfall auftritt: Die schwarze Polizistin Teo Bontempi, die in ihrer Wohnung erschlagen wurde, arbeitete in Marks Team, eine kleine Truppe, die in der nigerianischen Community gegen die Genitalverstümmelung zu Felde zieht. Aufklärungsarbeit in Schulen, viel mehr kann das Team doch nicht bewirken. Aber Teo hatte sich geradezu verbissen engagiert.

Viele Facetten des Themas

Mithilfe der verschiedenen Personen und der Ermittlungsarbeit gelingt es der Autorin fantastisch, verschiedenste Perspektiven auf das Thema zu beleuchten. Da ist das nichts ahnende zukünftige Opfer Simisola, die ihrer Mutter glaubt, dass eine „Initiation“ notwendig ist, um sie zu einem Stammesmitglied zu machen, und die begeistert Geschenke annimmt und sich auf eine Feier freut. Es gibt ältere Opfer in Orchid House oder auch eine etwas ältere Freundin von Simi, die sich nach der Prozedur mit zwölf Jahren das Leben nahm. Die Mutter, gefangen in Traditionen und Gehorsam, die eine Art Kompromiss sucht. Eine weiße Chirurgin, die sich in der Rekonstruktion engagiert. Teos weiße Adoptiveltern und ihre leibliche Schwester Rosie, Teos Ex-Mann …

Ermittlungsarbeit

„Inspector“ Lynley und sein bewährtes Team aus Barbara Havers und Winston Nkata lernen nach und nach so einige der Perspektiven und die aus ihnen folgenden Taten kennen. Aber hauptsächliche scheint moderne Ermittlungsarbeit in London daraus zu bestehen, endlose Stunden Material aus beinahe allgegenwärtigen Überwachungskameras zu sichten … gut, dass es dafür ein paar beinahe namenlose Polizisten gibt, die dem Trio zuarbeiten.

Unbedingt empfehlenswert!

Auch wenn dieser Roman/Krimi ein ziemlicher Wälzer ist, übertrifft sich Autorin Elizabeth George damit mal wieder selber: Brisant und aktuell, menschlich und dramatisch, viele Perspektiven auf ein Thema und absolut spannend von der ersten bis zur letzten Seite. Ein Buch, das ich unbedingt empfehlen kann!

Elizabeth George. Something to Hide. London: Hodder & Stoughton, 2021. (Inspector Lynley 21)

Mehr zur Autorin und ihren Büchern auf der Autorinnen-Seite Elizabeth George.

2 Gedanken zu „Elizabeth George. Something to Hide – Inspector Lynley 21 (2021)“

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