Frankreich, Roman

Claire Léost. Der Sommer, in dem alles begann (2024)

Die Lebenswege dreier Frauen aus drei Generationen kreuzen sich in der Bretagne und verändern das Leben für alle.

Odette wird während der deutschen Besatzung nach Paris geschickt, nachdem die Nazis ihren Vater ermordet hatten. In der Großstadt muss sie als Dienstmädchen bei einer reichen Familie arbeiten, die Vergewaltigung durch den Dienstherren scheint dazuzugehören. Sie darf bei der Familie bleiben, bis ihr Kind geboren wird; das sei nach der Geburt plötzlich gestorben, sagt man ihr. Odette findet eine neue Stelle beim Verein der Bretonen in Paris, bevor sie schließlich in ihr Heimatdorf im Landesinneren der Bretagne zurückkehrt.

Die neue Lehrerin

Hélène ist Ende der 1990er-Jahre 16, sie ist in ihrem bretonischen Dorf fest verwurzelt und hat in Yannick endlich ihren ersten Freund. Doch dann taucht die weltgewandte Marguerite in ihrem Leben auf. Die Pariserin unterrichtet normalerweise an der Sobonne Literatur, doch eine Schreibblockade ihres Ehemannes Raymond führt die kleine Familie in die Bretagne. Hier übernimmt Marguerite den Französischunterricht unter anderem in Hélènes Abschlussklasse und zum ersten Mal fühlt diese sich inspiriert und begeistert. Gemeinsam arbeiten sie daran, dass Hélène den besten Abschluss des Départements schafft.

Der Schriftsteller

Doch dann ist der Traum auf einmal nicht mehr so wichtig, denn Hélène lernt Marguerites Mann Raymond besser kennen und ist fasziniert. Erst, weil er Schriftsteller ist, dann, weil er ein erfahrener Mann ist. Es beginnt keine plumpe Affäre, sondern ein subtiles Spiel des Flirtens. Doch der Dorfklatsch ist weniger feinfühlig und sowohl Marguerite als auch Yannick erfahren von dem angeblichen Verhältnis. Marguerite möchte allerdings die Bretagne noch nicht verlassen, denn sie hat ihre Mutter noch nicht gefunden, nach der sie sucht. Doch im Dorf hat man längst beschlossen, dass die verderbten Pariser wegmüssen …

Sanft und eindringlich

Eine wunderbar sanfte und doch eindringliche Geschichte über drei Frauen. Sehr zurückhaltend erzählt Claire Léost aus den Leben der drei, wechselt die Perspektive, wie es gerade am besten passt, doch nie plump, nie verharrt sie in den Klischees, die sich an der einen oder anderen Stelle geradezu aufdrängen. Stattdessen scheint sie zarte Fäden zu einer komplexen Geschichte zu spinnen, Gefühle werden häufig eher angedeutet als auserzählt. Ein sehr ruhiger Erzählton, der dennoch fesselt und die Leserin in die Geschichte zieht. Zwar spielt die Bretagne an sich gar keine so große Rolle, wie ich gehofft hatte, aber der Roman entwickelt einen ganz eigenen Sog, dem man sich schwer entziehen kann – aber warum sollte man das wollen?

Prix Bretagne – Prix Breizh 2021.

Claire Léost. Der Sommer, in dem alles begann. Köln, Kiepenheuer & Witsch 2024. | Le Passage de l’Été. Paris, éditions JC Lattes 2021. Übersetzung Stefanie Jacobs und Jan Schönherr

Vielen Dank für das Rezensionsexemplar via NetGalley.de!

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